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Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ka Hancock
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    32
    N och bevor ich mit dem Eis das Zimmer betrat, wusste ich, dass sie tot war. Mir stockte der Atem, das Herz, als ich meine wunderschöne Frau anstarrte, die eigentlich so aussah, als schliefe sie nur. Ich beobachtete sie, doch ich konnte diesen Raum nicht betreten. Schwach erleuchtet. Warm. Zwei Topfpflanzen und ungeöffnete Karten auf dem Tisch, und ein Krug Wasser, der – wenn ich vorher darauf geachtet hätte – vermutlich reichlich Eis enthielt. Ein spezielles Krankenbett, auf eine halb sitzende Position eingestellt. Und still. So furchtbar still. Für mich sah das alles völlig fremd aus.
    Ich atmete ein und sagte mir, dass Lucy, deren dunkles Haar vom Kopfkissen floss, nur schlief. Das wiederholte ich, bis ich es glaubte. Sie ruhte sich nur aus, bis ich mit dem Eis zurückkam. Wenn ich mich zu ihr setzte, würde sie die Augen öffnen. Ich würde ihr löffelchenweise zerstoßenes Eis in den trockenen Mund geben, und sie würde lächeln und sich allmählich besser fühlen. Das Baby war da – darüber würde sie so glücklich sein. Sie hatte es geschafft. Jetzt konnte sie die lebensrettenden Medikamente bekommen, die sie bis zum Tag der Niederkunft verweigert hatte. Alles war gut, sagte ich mir. Doch ein anderer Teil meiner selbst schüttelte mitleidig den Kopf über die Lügen, die ich mir erzählte, während ich langsam auf das Bett zuging.
    »Lu? Schätzchen? Lucy?« Ich bemühte mich, die Tränen zurückzuhalten. Ich musste für sie stark sein. Sie sollte mich nicht dabei ertappen, dass ich heulte. Immerhin hatte sie den schwersten Tag ihres Lebens hinter sich. Doch trotz dieser Mahnungen fielen die Tränen. Ich nahm ihre Hand und strich mit dem Daumen über ihre warmen Fingerknöchel. Ihr Gesicht war nicht mehr von Qualen gezeichnet, sondern vollkommen entspannt. Die Falte auf ihrer Stirn, die stets ihre Schmerzen verkündet hatte, war verschwunden. Ich flehte sie an, zu atmen, und musste zusehen, wie ihre reglose Brust mein Gebet ignorierte. »O Gott. Bitte nicht.« Ich sank auf den Stuhl und damit in die Haut des Mannes, der wusste, dass sie nicht mehr da war. Der es wusste und es sich dennoch nicht vorstellen konnte. »Lucy …«
    Ich war nicht bereit dafür. Nicht heute. Heute hatte ich zugesehen, wie sie eine Tochter geboren hatte, ohne selbst den Schmerz, die Freude oder den Stolz dieser Geburt zu empfinden. Aber ich hatte mir nie vorgestellt, dass sie tatsächlich gehen würde, dass das Leben in ihr wahrhaftig erlöschen könnte.
    Ich konnte den Blick nicht von ihr abwenden, von dieser Frau, in deren Lächeln, deren Berührung mein Leben lag. Ich konnte sie nicht aus den Augen lassen. Nicht, als Ron einen Arm um meine Schultern legte. Auch nicht, als Lily und Priscilla und dann immer noch mehr Leute sich um das Bett drängten und mit mir weinten. Ich konnte den Blick nicht von ihr lösen, denn ich glaubte, dass sie fort sein würde, wenn ich dann wieder hinsah.
    Als das dann tatsächlich geschah, glaubte ich, mein Herz würde nie wieder schlagen. Jemand hatte Withers’ Beerdigungsinstitut angerufen, und Earl und Chad erschienen in ihrer offiziellen Funktion, um meine Frau fortzubringen. Ich konnte ihre Hand nicht loslassen. Chad musste meine Finger einzeln von ihren lösen, doch das tat er gütig und verständnisvoll. Die beiden arbeiteten schweigend, hüllten meine Lucy sanft in ein Laken und schlugen es sorgfältig unter ihren Füßen um. Dann hoben sie sie auf ihre Rollbahre, und Earl tätschelte meine nasse Wange, ehe er Lucy hinausschob. Als er mit meiner Frau um die Ecke verschwand, begann ich von innen heraus zu zerbröckeln. Es war entsetzlich qualvoll. Mein Blick fiel auf ihr leeres Bett, und meine Knie gaben nach, doch Harry fing mich auf. Wie ein kleines Kind schlang ich die Arme um seinen Hals und schluchzte. Jan strich mir mit der Hand übers Haar und sagte unter Tränen: »Komm mit, mein Lieber. Wir bringen dich nach Hause.«
    Sie nahmen mich zwischen sich. Jeder hielt einen Arm, und sie schleppten mich wie eine Requisite von der Bühne. Einen Moment lang war es unwirklich, nicht von dieser Welt, ganz ähnlich wie in der Psychose, obwohl ich bei klarem Verstand und gepeinigtem Bewusstsein war. Meine Frau war tot, und ich konnte das nicht als real begreifen. Harry sagte immerzu Dinge wie: »Du bist stärker, als du glaubst, Mic. Du schaffst das, wir sind bei dir.« Jan versuchte, die Tränen zurückzuhalten, doch sie bildeten einen dicken Kloß in ihrer Kehle.

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