Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ka Hancock
Vom Netzwerk:
Blick in Bann. »Willst du es wirklich wissen?«
    Ich nickte.
    »Okay. Mein Leben sieht so aus, dass ich nie weiß, wer ich sein werde, wenn ich morgens aufwache, und das hasse ich. Ich hasse es, mich nicht auf den Kerl verlassen zu können, den ich im Spiegel sehe.«
    »Kann ich dir nicht verdenken. Und warum bist du so?«
    »Das hat etwas mit bestimmten Stoffen in meinem Blut zu tun, oder vielmehr einem Mangel daran, und ich muss eine Menge Medikamente nehmen, um das auszugleichen. Wenn ich das nicht tue, bin ich zu nichts mehr fähig – und zu allem. Ich gelte nur als geistig stabil, wenn ich durch Medikamente verändert bin, und manchmal schaffen es nicht mal die.« Er schaute wieder auf seine Hände. »Irgendwann bin ich so frustriert, dass ich sie nicht mehr nehme, und dann fliegt mir alles um die Ohren und ich lande wieder in der Klinik.«
    »Das ist ja übel. Hat diese Krankheit eine Bezeichnung?«
    »Manisch-depressiv. Bipolare affektive Störung.«
    »Und leidest du schon lange darunter?«
    Er nickte. »Ja.«
    Ich betrachtete ihn. »Also, für mich siehst du ganz normal aus. Wie kann man das denn behandeln?«
    »Therapie und Psychopharmaka. Kommt darauf an, was für Symptome ich zeige. Lithium. Manchmal auch Antipsychotika, aber hauptsächlich Stimmungsstabilisatoren und Antidepressiva, aber die sind nicht ungefährlich, weil sie mich in die Manie treiben können. Manchmal nehme ich auch all das gleichzeitig. Dazu weitere Medikamente gegen die ganzen Nebenwirkungen. Sie müssen bei mir ein bisschen herumexperimentieren, weil ich ein Rapid-Cycling-Patient bin – meine Stimmung schwankt schnell zwischen den Extremen hin und her, und sie wollen mich möglichst in der Mitte halten.«
    »Ist das deine sichere Zone?«
    »Ja. Sicher, aber langweilig.« Er zuckte mit den Schultern. »Das ist schwer zu erklären, aber wenn man weiß, wie es ist, sich unbesiegbar zu fühlen, so voller Energie, dass man die ganze Welt erobern könnte, ist sicher und stabil nicht besonders reizvoll. Ich spiele manchmal mit meinen Medikamenten herum, um es ein bisschen spannend zu machen.«
    Ich nickte. »Das kann ich verstehen.«
    »Im Ernst? Du verstehst das?«
    »Was soll man daran nicht verstehen? Wer findet es nicht toll, sich gut zu fühlen?«
    »Tja, mein ›Gutfühlen‹ gerät ziemlich schnell außer Kontrolle. Dann kann ich nicht mehr richtig denken, nehme meine Medikamente nicht mehr und steige immer höher. Ich esse nichts. Ich gehe nicht ins Bett. Ich arbeite oder trainiere wie verrückt. Ich bin überdreht und irrational und tue absurde Dinge, weil ich absurde Gedanken habe. Und dann breche ich zusammen.« Er klopfte ein paarmal leise mit den Fingerknöcheln auf den Tisch. »Irgendwann wird mir dann klar, was ich getan habe. Davon werde ich depressiv. Also rege ich mich noch mehr auf, werde immer irrationaler, und manchmal, wenn es richtig schlimm ist, will ich nur … will ich nur noch, dass es vorbei ist.« Mickey Chandler holte tief Luft und schüttelte den Kopf. »Ich kann gar nicht glauben, dass ich hier sitze und dir das erzähle.«
    Ich hätte weinen mögen. Er war so verletzlich, so schutzlos. »Wer kümmert sich denn um dich? Wer hilft dir, deine Tabletten nicht zu vergessen, und sagt dir, wenn du … ich weiß nicht, dich ungewöhnlich verhältst? Wer sammelt dich auf, wenn du zusammenbrichst?«
    »Na ja …« Er zuckte mit den Schultern. »Mein Arzt, er heißt Gleason, ist nach einem Absturz immer für mich da. Und meistens auch, wenn ich nicht das tue, was ich tun sollte. Aber ansonsten – nur ich.«
    »Keine Familie? Keine Freundin? Hast du niemanden, der dir hilft?«
    »Nein. Ich meine, es gab schon genug Leute. Aber das stehen sie normalerweise nicht durch.« Er seufzte. »Ehe ich auf die kluge Idee gekommen bin, Colby’s Club zu kaufen – davor habe ich nur Stand-up-Comedy gemacht –, bekam ich den entscheidenden Hinweis meistens von meinen Arbeitgebern, denn wenn ich abgestürzt bin, war ich nicht mehr sonderlich komisch, was in meinem Beruf doch eine gewisse Rolle spielt. Meistens wurde ich dann gefeuert.« Er fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. »Aber in manischen Phasen bin ich ein verdammt lustiger Kerl – und das macht süchtig. Ich will produktiver sein, witziger, besser, und all das ist möglich, wenn ich auf dem Weg nach oben bin. Aber ich kann diesen Zustand nicht halten. Irgendwann stürze ich unweigerlich ab. Und ich weiß, dass dieser Zusammenbruch kommt, ich kann ihn

Weitere Kostenlose Bücher