Tanz auf Glas
Ehrlich gesagt hat es meine Familie im Laufe der Zeit Unsummen gekostet. Das Holz und die Fenster und so weiter sind zum Großteil original erhalten, und ich restauriere es gerade, um es zu verkaufen. Das macht mir Freude. Ist gut für mich. Körperlich anstrengend, und ich kann die ganze Nacht lang arbeiten, wenn ich will.«
Ich nickte.
Er lächelte. Nicht so richtig, der Ausdruck war eher verletzlich, nackt und ohne jede Beschönigung. Er machte mich mutig. »Warum hast du mich eigentlich nie angerufen?«
Er warf mir einen Seitenblick zu. »Ich weiß nicht.«
»Du weißt es nicht?«
Er schüttelte den Kopf. »Es war sehr lustig damals mit dir, Lucy. Das weiß ich noch.« Sein Blick glitt über meine Schulter hinweg ins Leere. »Aber es war nicht echt. Dieser Kerl ist nicht mein wahres Ich.«
»Wie meinst du das?«
Er sah mir wieder in die Augen. »Ich meine damit, dass du mein wahres Ich nicht sonderlich gemocht hättest.«
»Ach ja? Bist du sicher, dass es keinen einfacheren Grund dafür gibt? Dass du zum Beispiel in einer festen Beziehung bist? Oder schwul? Bist du schwul?«
»Nein. Daran lag es nicht.«
»Na, immerhin etwas. Dachtest du, du wärst zu alt für mich? War das der Grund?«
»Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht, aber jetzt, da du es erwähnst – ich bin zu alt für dich.«
»Wie alt denn, vierzig?«
»He, lass dich nicht von den grauen Haaren täuschen. Ich werde nächsten Monat dreißig.«
»Das ist doch halb so schlimm. Bist du ein Axtmörder?«
»Noch nicht.« Er grinste.
Ich musterte diesen unglaublich gutaussehenden Mann, der da in einem weißen T-Shirt und einem Krankenhaushemd vor mir saß, das er wie eine Jacke trug.
Krankenhaushemd?
Ich beobachtete seine Mimik und lauschte seiner Stimme, und mir fiel auf, wie traurig er wirkte. »Ist das dein Ernst? Du dachtest, ich würde dich einfach nicht mögen?«
»Mein voller Ernst.«
»Warum? Was an dir sollte ich nicht mögen?« Als er nicht antwortete, wurde ich wieder mutig. »Ich frage ja nur, weil ich immer noch interessiert wäre.«
Er versuchte, verlegen dreinzuschauen, hatte aber nicht die Kraft dazu. Er verschränkte die Finger auf dem Tisch und sah mir ruhig in die Augen. Ich wandte den Blick nicht ab, und es dauerte lange, bis er endlich etwas sagte. Schließlich räusperte er sich. »Ich habe eine Menge Probleme, Lucy.«
»Haben wir die nicht alle?«, entgegnete ich und nippte an meiner Cola. Als er darauf nichts sagte, stellte ich das Glas wieder hin. »Wovon reden wir hier? Ex-Frau? Schulden? Vorstrafenregister? Oder was?«
»Das ist doch nichts, womit du nicht leben könntest.«
»Da hast du recht. Also, was ist es?«
»Zunächst einmal bin ich geistesgestört, und zwar schon lange.«
Ich schluckte. Schwer.
Geistesgestört?
»Das ist alles?«, fragte ich mit zittriger Stimme. »Mehr hast du nicht zu bieten?«
»Glaub mir, das ist mehr als genug. Du solltest jetzt sofort aufstehen und weglaufen.«
Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Das wird dir noch leidtun.« Er lachte. »Ich bin ein sehr kranker Mann.«
Als ich nicht darauf reagierte, erlosch sein Lächeln, und er senkte den Blick auf seine Hände.
»Was noch?«, ermunterte ich ihn leise.
Er schüttelte den Kopf und blickte nicht zu mir auf. »Ich bin Patient hier, oben in der Psychiatrie.«
Ich erstarrte, mehr als nur ein wenig erschrocken. Um das zu überspielen, platzte ich heraus: »Hast du versucht, dich umzubringen?«
Er sah mich an und schüttelte den Kopf. »Diesmal nicht. Dazu war ich nicht mehr rational genug.«
Ich brauchte einen Moment, um das zu verdauen und gleichzeitig eine Bestandsaufnahme des Raumes zu machen: schwache Beleuchtung, zweckmäßige Einrichtung, die Ärzte, die in der Ecke über irgendetwas Ernstes sprachen. Aber nichts sonst. Keine vertraute Erscheinung drückte sich irgendwo herum. Ich blickte in seine traurigen Augen.
»Möchtest du mir davon erzählen?«
Er schüttelte den Kopf. »Da gibt es eigentlich nichts zu erzählen. Mein Hirnstoffwechsel entgleist und ich werde verrückt. Ende.«
»Warum?«
»Das ist kompliziert.«
»Ich bin ein kluges Mädchen. Ich kann dir sicher folgen.«
Er gluckste dumpf. »Frech bist du.«
»Entschuldigung. Ich bin furchtbar aufdringlich, nicht?«
»Ja, das auch.« Betretenes Schweigen machte sich breit, und ich dachte schon, das sei wohl ein guter Zeitpunkt, um zu gehen, doch dann schlug Mickey Chandler mich mit seinem
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