Tanz auf Glas
»Es ist wunderschön hier«, bemerkte ich.
»Ja. Es soll irgendwo ein altes Bauernhaus geben … oder jedenfalls eine Ruine. Machen wir uns auf die Suche.« Er griff nach meiner Hand.
»Ein altes Krankenhaus gibt es hier auch«, sagte ich und drückte ihm ein paar Beeren in die Hand.
»Hast du Hunger?«, fragte Mickey.
»Ein bisschen. Warum, hast du zufällig ein Erdnussbutter-Sandwich in der Tasche?«
Er lachte. »Ich könnte dich mit einem Erdnussbutter-Sandwich herumkriegen?«
Ich wollte ihm nicht sagen, dass das tatsächlich sehr wahrscheinlich wäre, also lächelte ich nur. »Unkompliziert, schon vergessen?«
Wir fanden die Ruine, als es langsam dunkel wurde, und in der untergehenden Sonne wirkte sie wie die Kulisse eines Schauerromans. Ich verlor mich ein bisschen in meinen Gedanken und malte mir aus, wer hier einmal gelebt haben mochte. Ich wandte mich zu Mickey um, weil ich ihm etwas sagen wollte, aber er stand ein paar Schritte weit entfernt und beobachtete mich. Als ich seinen Blick auffing, trat er unruhig von einem Fuß auf den anderen. Ich ging zu ihm hinüber und sah, dass die ersten Sterne über dem Hafen glitzerten. »Es ist so still hier.«
»Womöglich sind wir beide die einzigen Menschen auf dieser Insel, Lucy. Macht dich das nervös?«, fragte er, wobei er mich immer noch anstarrte.
Ich blieb vor ihm stehen. »Komme ich dir irgendwie nervös vor?«
Mickey schüttelte lächelnd den Kopf und nahm mich dann wieder bei der Hand. »Komm, wir müssen noch woanders hin.«
»Wohin denn?«
Im letzten Schein der Dämmerung, kurz bevor die Nacht ganz hereinbrach, erreichten wir die eigentliche Überraschung, die Mickey geplant hatte. Er half mir einen kleinen Abhang hinunter auf eine Lichtung und zu einer Laube, unter der eine Kerze einen Tisch beleuchtete. Ich war sprachlos. Der Picknicktisch war mit einem weißen Tischtuch, Porzellan, Stielgläsern und einer Blumenvase gedeckt. Das Beste aber war der Kellner im Frack, der die bereitgehaltene Serviette über meinen Schoß drapierte.
Ich sah Mickey an und schüttelte den Kopf. »Oh, bist du gut.«
Er setzte sich mir gegenüber und grinste mich an.
Der Kellner war ein ganz junger Bursche, trug aber sehr professionell das Menü vor: Lammkarree mit neuen Kartoffeln, Spinatsalat und frisches Obst. Er lüpfte die silbernen Deckel von den Servierplatten und stellte einen Brotkorb zwischen uns auf den Tisch. »Und als Dessert feines Konditorgebäck.« Er wandte sich Mickey zu. »Haben Sie noch einen Wunsch, Mr Chandler?«
»Nein. Alles ist wunderbar, Ryan. Sehr gut gemacht.« Der Kellner verschwand in der Dunkelheit, und ich betrachtete im Schein der Kerze Mickey, der auf einmal ein wenig verlegen wirkte.
»Das ist die beste Überraschung aller Zeiten«, sagte ich.
»Besser als ein Erdnussbutter-Sandwich?«
»Um Klassen besser. Du kannst anscheinend hellsehen – das sind meine Lieblingsgerichte.«
»Vielleicht hatte ich ja auch die Telefonnummer deiner Schwester.«
»Du hast mit Lily gesprochen?«
»Wir sind in Verbindung geblieben, seit sie deine Geburtstagsparty in meinem Club organisiert hat. Ich habe ihr erzählt, dass ich mit dir ausgehen möchte, und sie hat gesagt, dass man dein Herz am besten mit gutem Essen erobern kann. Darauf habe ich dann aufgebaut.«
Ich starrte ihn an. »Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Das ist bezaubernd.«
Wir ließen uns Zeit mit dem Essen, und alles schmeckte köstlich. Während wir zusahen, wie das letzte Abendrot erlosch, unterhielten wir uns über Kunst, dann über Bücher, die wir großartig oder grässlich fanden, über Filme, die wir gesehen hatten. Irgendwann fragte Mickey mich, ob Priscilla tatsächlich Anwältin sei.
»Ja.«
»Ist sie eine gute Anwältin oder eine großartige?«
»Ich weiß nicht. Woran misst man den Unterschied?«
»Eine gute Anwältin kennt die Gesetze. Eine großartige den Richter.«
Ich lachte. »Oh, der würde ihr gefallen.«
Mickey stützte die Ellbogen auf den Tisch. »Ihr beide seid so verschieden. Kaum zu glauben, dass ihr Schwestern seid.«
»Manchmal fällt es uns auch schwer, das zu glauben.« Ich lächelte. »Aber Priscilla ist immer für mich da – für mich und Lily. Sie ist sozusagen das Elternteil – Mutter und Vater vereint in einer fiesen, herrischen großen Schwester. Sie ist sehr auf ihre Karriere fokussiert, erfolgsorientiert, klug, umwerfend schön und nur so nett, wie es nötig ist.«
»Wahrscheinlich bekommt sie immer genau das, was
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