Tanz auf Glas
sie will.«
»Das hoffe ich.«
»Und Lily? Sie scheint sehr nett zu sein.«
Ich nickte. »O ja, Lily ist mein Ein und Alles. Wir stehen uns sehr nahe. Sie macht sich immer zu viele Sorgen, aber ich würde ihr mein Leben anvertrauen. Sie hat den Jungen von nebenan geheiratet – du hast ihn damals auch kennengelernt. Ron. Er ist ein fabelhafter Schwager. Sie wohnen in Brinley und betreiben einen Antiquitätenladen.« Ich beugte mich vor und senkte verschwörerisch die Stimme. »Lily kennt all meine Geheimnisse.«
Mickey lächelte. »Und ich habe ihre Nummer …«
Ich fühlte mich so entspannt in seiner Gegenwart – ich brauchte nicht auf der Suche nach Gesprächsstoff herumzustammeln oder mich ständig zu fragen, ob ich ihn womöglich schon langweilte.
»Und jetzt du«, sagte ich. »Erzähl mir etwas von dir, was ich noch nicht weiß.«
»Ich finde es herrlich, dich im Kerzenschein zu betrachten.« Er zwinkerte mir zu.
Ich schluckte. »Gleichfalls«, sagte ich aufrichtig. Das Licht, das in seinem dunklen Haar und seinen Augen schimmerte, und sein Lächeln hätten mich den ganzen Abend lang fesseln können. Ich räusperte mich. »Wie warst du denn als Kind?«
»Groß, vor allem groß. Schlaksig. Schüchtern. Ich habe gern Witzebücher gelesen.«
»Tja, das erklärt einiges.«
»Gut möglich. Aber Lachen hat mich gerettet, weil mein Leben ansonsten gar nicht lustig war.«
»Warum?«
»Meine Mutter war unheilbar depressiv, und mein Vater ist nur damit klargekommen, indem er getrunken hat. Das wünsche ich wirklich keinem Kind«, sagte Mickey nüchtern und ohne eine Spur von Selbstmitleid.
»Das tut mir furchtbar leid.«
Er zuckte mit den Schultern. »Du kannst dich glücklich schätzen, dass du solche Schwestern hast.«
»Ich weiß. Wir geben uns gegenseitig Halt, seit unsere Eltern nicht mehr da sind.«
Mickey nickte. »Man tut, was man kann, um solche Verluste zu überbrücken, ganz gleich, wann sie einen treffen. Vor ein paar Wochen hatte ich einen Auftritt beim fünfundachtzigsten Geburtstag einer niedlichen alten Dame. Ihre besten Freundinnen – die jüngste war neunundsiebzig – haben mich über das Internet gefunden und mich engagiert, damit ich die Gute zum Lachen bringe, weil sie gerade ihren Mann verloren hatte. Die beiden waren siebenundsechzig Jahre verheiratet. Er war Richter am Bezirksgericht.«
»Konntest du ihr ein Lächeln entlocken?«
»O ja. Mit einer Menge Anwaltswitzen. Ich hatte einen solchen Spaß mit diesen alten Damen, dass ich sogar auf meine Gage verzichtet habe.«
Ich schüttelte den Kopf. »Mein erster Eindruck von dir bestätigt sich immer wieder, Mickey Chandler. Du bist ein guter Kerl.«
Wir schwiegen einen Moment lang, dann stand Mickey auf und kam um den Tisch herum. Er setzte sich rittlings auf die Bank, mir zugewandt, und mein Herz schlug schneller, als ich ihn ansah.
»Danke für einen fabelhaften Abend«, sagte ich. Dann küsste ich ihn zart auf die Wange. Als ich wieder zurückwich, öffnete Mickey den Mund, als wollte er etwas sagen, überlegte es sich dann aber wohl anders. Er wirkte sehr unsicher, und ich war froh, als der junge Kellner erschien, um den Tisch abzuräumen. Mit übertriebener Geste sah er auf seine Taschenuhr.
»Ich sollte Ihnen rechtzeitig Bescheid geben, Mr Chandler. Das Shuttle-Boot kommt in zwanzig Minuten.«
Mickey nickte. »Danke, Ryan.«
»Ja, vielen Dank«, sagte ich. »Alles war absolut perfekt.«
Der Junge strahlte, und Mickey stand auf und drückte ihm zwei Scheine in die Hand – Hunderter, wenn mich der Kerzenschein nicht trog. Dann nahm er mich bei der Hand, Ryan reichte ihm eine Taschenlampe, und wir machten uns auf den Weg zum Bootssteg.
Als wir vor meiner Wohnung ankamen, hätte ich Mickey am liebsten hereingebeten. Das war Grund genug, es nicht zu tun, also schloss ich nur meine Tür auf und bedankte mich noch einmal bei ihm.
»Ich fand den Abend sehr schön, Lucy.«
»Ich auch. Ich hoffe, das können wir irgendwann einmal wiederholen.«
Er starrte zu Boden, und ich hatte wieder dieses seltsame Gefühl wie beim ersten Mal, als ich dachte, wir lägen auf derselben Wellenlänge, was sich dann als Irrtum herausstellte. Er brauchte ein Weilchen, bis er mir in die Augen schauen konnte, und ich sah Kummer in diesem Blick.
»Was ist?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht sicher.«
»Wovon sprichst du?«
»Hiervon. Von einem nächsten Mal.«
Ich schluckte. »Oh. Tatsächlich? Der Abend war wunderbar. Habe
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