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Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ka Hancock
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Priss erzählte mir, dass sie privat nur vier Mal miteinander telefoniert hatten, allerdings jeweils die ganze Nacht lang. Diese Gespräche drehten sich hauptsächlich um ihn – ein sicheres Zeichen dafür, dass es Priss schwer erwischt hatte. Erst dann kam das erste Date. Und danach konnten sie nicht mehr ohne einander sein.
    Seine Firma hatte überall Niederlassungen, und er eröffnete ständig weitere, also mussten sie natürlich oft zusammen reisen. Ihre Affäre war praktisch unvermeidlich. Das Ende ebenfalls, denn wie so viele andere aufrechte Männer steckte Kenneth Boatwright ständig
in
seiner Scheidung, schaffte es aber nie ganz hindurch zur anderen Seite, wo Priss darauf wartete, ein neues Leben mit ihm zu beginnen.
    Erst in den vergangenen vierundzwanzig Stunden, nach ihrer Krebsdiagnose, hatte meine Schwester die hässliche Wirklichkeit erkannt. Verängstigt und verletzlich – zwei Gemütszustände, die Priss völlig fremd waren –, hatte sie Kenneth hinterhertelefoniert. Als sie ihn endlich erreichte, in seinem Ferienhaus auf Maui, erzählte sie ihm, was passiert war, und flehte ihn an, zurückzukommen und bei ihr zu sein. Darauf erwiderte der charmante Mr Boatwright, es täte ihm leid, was sie da durchmachen müsse, aber er könne ihr nicht helfen. Das sei vielleicht kein günstiger Zeitpunkt, aber er müsse Priss sagen, dass er und seine Frau es noch einmal miteinander versuchen würden … den Kindern zuliebe. Seine Söhne waren fünfzehn und zwölf Jahre alt.
    Meine Schwester hatte recht, auch wenn ich das nie laut gesagt hätte. Sie war ein wandelndes Klischee – verlassen, belogen, benutzt und um der Kinder willen abserviert.
    »Das tut mir schrecklich leid, Priss.«
    »Er liebt mich doch«, heulte sie. »Wie kann er mir das antun?«
    »Ich weiß es nicht«, raunte ich und streichelte ihr Haar.
    In dieser Nacht hätte ich Kenneth Boatwright umbringen mögen. Er hatte meine zähe, kluge, selbstsichere Schwester am Boden zerstört zurückgelassen. Soweit ich wusste, hatte das zuvor noch nie jemand geschafft.
    Jetzt sah ich zu, wie sie sich am Fuß des Hügels von Nathan Nash verabschiedete. Sie streichelte kurz sein Gesicht und küsste ihn auf die Wange, und er schaute ihr nach, als sie ging. Wahrscheinlich sah er, was wir alle sahen: eine schöne, scheinbar unverwundbare Frau. Nur Lily und ich wussten von der Narbe an ihrem Herzen.
    Wir hatten danach nie wieder von Kenneth Boatwright gesprochen. Jedenfalls nicht ernsthaft. Ich hatte es einmal versucht, doch Priss hatte mich nur mit einem unmissverständlichen Blick bedacht und mit einer gemeinen Bemerkung über meine Frisur das Thema gewechselt.

[home]
    7
    1 . Oktober 1999
    L ucy gab es nur im Gesamtpaket, das war mir wahrscheinlich schon an dem Abend klar, an dem wir uns kennenlernten. Sie gehörte zu einem Trio von Schwestern, die aufeinander aufpassten – manchmal wie scharfe Wachhunde –, und ich wusste, dass ich die mehrheitliche Zustimmung brauchen würde, wenn ich einen Platz in ihrem Leben haben wollte. Lily war die Erste, die mir auf den Zahn fühlte. Das war nach etwa zwei Monaten – und damals glaubte ich schon, dass ich Lucy liebte. Eines Abends stand Lily völlig überraschend vor meiner Tür. Sie marschierte einfach in mein Haus und setzte sich nicht einmal. »Lucy ist dabei, sich in dich zu verlieben, Mickey«, sagte sie. Ich nickte. Dann legte sie los – sie wollte wissen, was ich (sprich: der Wahnsinnige) in dieser Angelegenheit zu tun gedenke. Ihre Unterlippe begann zu zittern, und ich wusste, dass jetzt alles von meiner Antwort abhing. Ich brauchte Lily. Auf Priss’ Wohlwollen konnte ich verzichten, wenn es sein musste, aber Lily brauchte ich unbedingt. Ich antwortete, dass ich ihre Sorge verstehen könne – rein theoretisch und sachlich betrachtet, käme ich tatsächlich wie ein Alptraum daher. Sie sagte, das wüsste sie schon. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun konnte, außer ihr zu versichern, dass meine Krankheit nicht bedeutet, ich könne ihre Schwester nicht lieben. Lily traten Tränen in die Augen, und ich fürchtete, dass ich genau das Falsche gesagt hatte. Ich erklärte ihr, dass meine bipolare Störung mich nicht daran hindern würde, Lucy alles zu geben, was ich zu geben hatte. Ich versicherte ihr, dass ich Lucy niemals absichtlich verletzen würde. Dann hielt ich den Atem an und behielt die Einzelheiten für mich. Ich erzählte Lily nichts von dem Platz in meinem Inneren, an dem ich meine Träume

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