Tanz auf Glas
hast du einen wild entschlossenen kleinen Embryo an Bord.«
Ich seufzte. »Charlotte, was würde Mom mir raten?«
»Ich bitte dich! Sie hätte schon einen Namen und wäre dabei, die Strampeldecke zu quilten.«
Tränen standen mir plötzlich in den Augen. »Bist du sicher? Bestimmt nicht, wenn sie wüsste, was Mickey und ich diesem Kind vererben könnten.«
»Oder gerade dann.« Charlotte tätschelte meine Hand. »Lucy, trotz all deiner Vorhersagen und Alpträume – man kann nicht sagen, was die Zukunft bringen wird.«
»Ich weiß genug. Ich meine, sieh mich nur an! Vielleicht werde ich nie wieder krank. Aber was ist mit ihr? Und vergiss Mickey nicht, da oben in der geschlossenen Psychiatrie.«
»Das ist ein Dilemma, Lucy. Da gebe ich dir recht.«
»Aber?«
»Aber was, Schätzchen? Glaubst du im Ernst, deine Mutter hätte irgendetwas anders gemacht? Wenn sie gewusst hätte, dass sie ihren Mann auf diese Weise verlieren würde oder dass sie selbst so jung sterben würde – glaubst du im Ernst, sie hätte andere Entscheidungen getroffen?«
»Das ist nicht dasselbe, Charlotte. Sie wusste es eben
nicht.
Ich weiß es.«
»Wenn du das sagst.«
Ich hüstelte gegen den Kloß in meiner Kehle an. »Das hätte nie passieren dürfen. Und jetzt …« Ich starrte auf den Grabstein meiner Mutter und dachte über den seltsamen Platz im Leben nach, an dem ich mich befand: zwischen Eltern, die längst fort waren, und einem Kind, das ich besser nicht bekommen sollte. Charlottes Ohrringe klimperten leise in der Brise, und als ich mich ihr zuwandte, sah ich, dass sie mich beobachtete. Sie strahlte eine ruhige Schönheit aus. Weisheit und Verständnis sprachen aus ihrem sonnengebräunten Gesicht.
»Es ist also eine
Sie,
hm?«
Ich schüttelte den Kopf. »Das ist noch so etwas Schreckliches! Ich habe keine Ahnung, woher ich das weiß, aber es ist ein Mädchen. Mit diesen Genen wäre ein Junge wirklich besser dran. Aber es ist ein Mädchen. Ich weiß es einfach.« Ich ließ den Kopf hängen und rieb mir mit der Handfläche die Stirn. »Charlotte, was tue ich nur?«
»Du sorgst dich um Dinge, auf die du keinen Einfluss hast.«
»Natürlich habe ich einen gewissen Einfluss darauf.«
»Tatsächlich? Wenn wir hier von einer Abtreibung sprechen – das kann ich mir kaum vorstellen.«
»Ich auch nicht«, seufzte ich. »Aber es hat sich nichts geändert. Sämtliche Gründe, warum wir nie ein Kind bekommen wollten, sind nach wie vor gültig.«
Charlotte nahm meine Hand und tätschelte sie. »Ich weiß. Also, was meinst du – was wird Mickey von einer Tochter halten?«
»Ach, Charlotte, ich wüsste nicht, worüber er sich mehr freuen würde.« Ich starrte auf den Fluss hinaus und malte mir Mickeys wahrscheinliche Reaktion aus.
So saßen wir da, als Priscilla uns fand. Sie kam um die Ecke und wirkte ein wenig erschrocken. »Was ist los?«
Ich schüttelte den Kopf und war froh, dass sie nichts gehört haben konnte. »Nichts.«
Priss war offensichtlich kein bisschen überzeugt. Da wurde mir bewusst, was sie vor sich sah: Ich hielt die Hand meiner Ärztin, mit ernster Miene und feuchten Augen, einen Tag nach meiner Kontrolluntersuchung.
Charlotte stand auf und umarmte meine Schwester. »Wir haben uns nur über eure Eltern unterhalten.«
»Wirklich?« Priss sah mich an, und ich nickte.
»Also, ich muss los«, sagte Charlotte. »Es war schön, euch zu sehen, ihr Lieben, wie immer. Hoffentlich treffen wir uns nächstes Mal unter freudigeren Umständen.«
Wir schauten ihr nach, dann setzte sich Priss zu mir und nahm meine Hand. »Du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt.«
»Das wollte ich nicht.«
»Warum hast du mich nicht zurückgerufen?«
»Es tut mir leid. Ich habe es vergessen, und als es mir wieder eingefallen ist, wusste ich ja, dass wir uns ein paar Stunden später sehen würden. Also dachte ich, dann kann ich es dir auch persönlich sagen.«
»Das konntest du gar nicht wissen. Ich war mir bis heute Morgen selbst nicht sicher, ob ich es schaffen würde. In letzter Zeit war in der Kanzlei die Hölle los.«
»Ich freue mich jedenfalls, dass du es geschafft hast. Und es geht mir gut. Alles in Ordnung. Und Nathan hat sich sehr gefreut, dass du gekommen bist.«
Priscilla schüttelte mit tief gerunzelter Stirn den Kopf. »Ich wünschte, wir würden uns nicht ganz so oft hier oben treffen.«
»Stimmt.«
Wir schwiegen ein paar Minuten lang und hingen unseren Erinnerungen nach. Schließlich fragte Priss
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