Tanz auf Glas
einer Integrität, die Priscilla nie an den Tag gelegt hätte, wenn es andersherum gewesen wäre.
Ich lächelte zu ihm hoch. »Deshalb mag ich dich so sehr.« Ich küsste ihn, und er blickte verwirrt drein. Er hatte keine Ahnung, wovon ich sprach.
Am nächsten Tag setzte ich endlich meinen Lunch-Plan in die Tat um, obwohl es jetzt natürlich zu spät war – es konnte nicht mehr so laufen, wie ich gehofft hatte. Ich saß im Maggiano’s und musste eine Dreiviertelstunde lang auf Priscilla warten. Das Baguette aus dem Brotkorb hatte ich aufgegessen, und ich war schon beim dritten Eistee, aber ich wusste, dass sie irgendwann auftauchen würde. Sie hatte mir gesagt, dass sie möglicherweise zu spät kommen würde, was in Priscilla-Sprache so viel hieß wie
Ich komme, wenn mir danach ist.
Ich war schon halb fertig mit meinem Caesar Salad mit Hühnerbrust, als sie endlich erschien. Sie warf einen missbilligenden Blick auf meinen Teller, zog sich die Jacke aus und strich ihren Rock glatt. »Ganz reizend, Lucy.«
Ich sah auf meine Armbanduhr. »Gleichfalls, Priss.«
Sie bestellte einen grünen Salat, das Dressing bitte extra, und Eiswasser. Als der Kellner wieder ging, lehnte sie sich zurück, verschränkte die Arme und sah mich mit leicht gerecktem Kinn an.
Ich seufzte. »Kriegst du dich bitte einfach wieder ein?«
»Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.«
»O doch.«
»Ich habe viel zu tun, Lucy. Warum wolltest du mich sprechen?«
Ich schob meinen Teller beiseite und beugte mich zu ihr vor. »Ich hätte das schon längst tun sollen, Priss. Also, wegen gestern Abend …«
»Ja?«
»Na ja, ich bin mit Mickey Chandler zusammen. Schon seit ein paar Monaten. Ich glaube, ich liebe ihn wirklich, und wenn er mir heute einen Antrag machen würde, würde ich ja sagen.« Da sie keine Miene verzog, blieb mir nichts anderes übrig, als weiterzureden. »Ich weiß, dass du ihn dir angeln wolltest, und … das gestern Abend war ein unangenehmer Moment, es tut mir leid. Na ja … so ist es jedenfalls, und ich muss dir etwas Wichtiges sagen, also können wir das jetzt bitte einfach vergessen?«
Priscilla starrte mich durchdringend an. »Zunächst einmal, Lucille … wie kommst du darauf, dass mich das überhaupt kümmert?«
Ich lehnte mich seufzend zurück.
»Und zweitens … ich gratuliere.«
»Danke, Priss«, sagte ich vorsichtig.
Ihr Salat kam, und sie griff zur Gabel und fuhr fort: »Nur damit das klar ist, gestern Abend konnte ich ihn mir ja in Ruhe anschauen, und da habe ich festgestellt, dass er mich nicht im Geringsten interessiert.«
»Na, wunderbar. Das macht die Sache doch schon einfacher, oder?«
»Kann sein.« Achselzuckend steckte sie sich eine Tomate in den Mund. »Also, was für wichtige Dinge musst du mir unbedingt über euch beide erzählen?«
Jetzt kam der Teil, vor dem mir wirklich graute, aber es ließ sich nicht vermeiden. Ich räusperte mich. »Sagt dir der Begriff bipolare Störung etwas?«
»Ja. Das ist eine psychische Erkrankung. Warum?«
»Na ja … Ich dachte nur, du solltest wissen, dass Mickey darunter leidet.«
Sie hörte zu kauen auf und ließ die Gabel sinken, doch sie sagte so lange kein Wort, dass ich mich gedrängt fühlte, die Pause zu füllen. Ich erzählte ihr von Mickeys Therapie und der Wirkung der Medikamente auf seine Stimmung. Ich erklärte ihr, wie produktiv er in manischen Phasen war. Dass er auch unter schwersten Depressionen litt und schon an Selbstmord gedacht hatte, erwähnte ich allerdings nicht. Priscilla hörte mir zu, ohne mich zu unterbrechen, doch als ich fertig war, starrte sie mich noch eine volle Minute lang an, ehe sie etwas sagte. Ich hätte wissen müssen, was ich von ihr zu erwarten hatte.
»Bist du wirklich so verzweifelt?«
»Wie bitte?«
»Das ist mein Ernst, Lucy. Bist du so einsam? So verzweifelt? Denn ich bin sicher, wenn du dich ein bisschen bemühen würdest, könntest du einen kompetenten, gesunden Mann finden. Warum
denkst
du auch nur an eine Beziehung mit jemandem wie Mickey?«
Ich funkelte sie an. »Hör auf, Priscilla! Lass es sein. Das ist meine Entscheidung, es ist meine Beziehung.«
»Tja, Süße, dann wirst du dir wohl eine andere Beziehung suchen müssen. Diese kannst du nicht gebrauchen.« Ihr Ton war nicht sonderlich boshaft, aber die Worte trafen mich.
Ich schüttelte den Kopf.
»Denk doch mal ernsthaft darüber nach, was du da tust, Lucy. Und überleg dir, wie du aus der Sache rauskommst. Du findest einen Besseren.
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