Tanz auf Glas
sagen.
Aber ich kam irgendwie nie dazu, es ihr zu sagen, und als sie es dann herausfand, war das nicht schön.
Es passierte in Cambridge, bei einer Spendengala zugunsten der Greater Massachusetts Children’s Aid Society. Mickey war einer der Unterhaltungskünstler, die an dem Abend auftraten. Wir sahen beide fabelhaft aus, wenn ich das sagen darf – Mickey im Frack, ich in einem bodenlangen, schulterfreien Kleid aus weißem Chiffon und mit baumelnden Ohrringen, die im Licht funkelten. Mickey stand gerade auf der Bühne und erzählte von einer Erfindung, an der er angeblich gerade arbeitete – eine Wand aus Klett, an die man Kinder werfen konnte, damit sie einem nicht ständig im Weg waren, wenn man etwas zu tun hatte.
Ich lachte über seine Nummer, als plötzlich Priscilla an unserem Tisch stand. Sie trug ein metallicgraues Kleid, das so eng wie Schrumpffolie an ihren Kurven klebte. Ihr Haar war heller, als ich es zuletzt gesehen hatte, ihre Haut noch gebräunter, und sie hätte auf dem Cover einer Zeitschrift prangen können. Oder eher eines Erotikmagazins. Offensichtlich überrascht, mich bei einer so exklusiven Veranstaltung zu treffen, stieß sie auf mich herab, um mich auf die Wange zu küssen, und fragte dann, wie ich denn hierherkäme. Ehe ich antworten konnte, hatte sich Priss auf Mickeys Stuhl niedergelassen und ihre Aufmerksamkeit wieder der Bühne zugewandt.
»Ist das zu fassen, Lucy? Du weißt doch, wer das ist, oder? Das kann kein Zufall sein, das ist Schicksal. Kenny Boatwright kann mich mal. Aber dieses Mal, Lucille …« – sie sah mich scherzhaft warnend an – »… kommst du mir nicht wieder in die Quere.«
»Priss, ich muss dir etwas sagen.«
Mickey hatte seinen Auftritt gerade beendet, und die Leute sprangen auf und applaudierten stürmisch. Priscilla stand auf, zupfte am Saum ihres Kleides, vergewisserte sich, dass sie oben nicht ganz herausquoll, und ging los, um Beute zu machen. Meinen Freund.
»Priscilla, ich muss dir wirklich dringend …!«, rief ich ihr nach, doch sie machte nur eine scheuchende Bewegung aus dem Handgelenk. Mickey war auf dem Weg zurück zu unserem Tisch, aber ein begeisterter Zuschauer hatte ihn abgefangen. Ich hielt den Atem an, denn das musste in einer Katastrophe enden, und ich konnte nichts dagegen tun. Mickey ging weiter und blieb auch nicht stehen, als er Priscilla sah. Er marschierte einfach an ihr vorbei zu mir und küsste mich flüchtig auf den Mund. Die Leute klatschten immer noch Beifall, und Mickey winkte dankend in die Runde.
Priscilla war die Szene peinlich, das sah ich ihr an. Demütigung und Ärger blitzten aus ihren Augen, doch ob die Ursache Mickeys Affront war oder die Tatsache, dass er mit mir zusammen war, hätte ich nicht sagen können. Ich ließ Mickeys Hand los und eilte zu ihr. Wie ich sie kannte, hätte sie am liebsten das Weite gesucht und vergessen, dass sie uns überhaupt gesehen hatte. Doch ich erwischte sie am Arm, ehe sie gehen konnte. »Priscilla …«
Mickey stand plötzlich neben mir und sagte verwirrt: »Hallo!«
»Mickey, du erinnerst dich sicher an meine Schwester«, sagte ich und drückte seine Hand, als wollte ich sie zerquetschen, um ihm die Bedeutung der richtigen Antwort klarzumachen.
Doch sein verständnisloser Gesichtsausdruck war der Todesstoß für Priscillas empfindliches Ego. Sie nickte empört. »Schön, dich wiederzusehen, Mickey«, sagte sie mit einem steifen Lächeln. »Wir haben uns letztes Jahr bei Lucys Geburtstagsparty kennengelernt.«
Falls diese Erinnerung ihm irgendetwas sagte, ließ sich Mickey nichts anmerken, sondern er überspielte den Moment mit: »Ja, natürlich. Wie geht’s?«
»Gut. Und du bist immer noch sehr komisch.« Damit wandte sich Priscilla ab und ging ohne ein weiteres Wort.
»Das ist deine Schwester?«
»Ja! Du musst dich doch an Priscilla erinnern?«
»Priscilla? War sie schon immer so blond?«
»Wie bitte?«
»Es tut mir leid, Lu. Sie sieht nicht aus wie die Frau von deiner Party. Bitte entschuldige. Ich bin so dämlich! Ich habe sie verletzt, nicht wahr? Was kann ich jetzt tun?«
Ich blickte zu Mickey auf und war versöhnt, als ich seinen ernsten Gesichtsausdruck sah. Es tat ihm wirklich leid, dass er meine Schwester verletzt hatte. Er machte sich nicht über sie lustig, wozu er etwa ein Dutzend Aufhänger gehabt hätte. Er versuchte auch nicht, sich dafür zu entschuldigen, dass er unabsichtlich so unhöflich gewesen war. Er stand einfach dazu, und das mit
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