Tanz auf Glas
Mickey nicht klarkommen wird?«
»Wovon sprichst du? Mickey ist nicht hier, weil ich nicht wollte, dass er sich Sorgen macht.«
»Ich werde das nie verstehen. Nie. Wozu hat man denn …«
»Priscilla, bitte. Fang nicht wieder damit an.«
Sie schüttelte den Kopf. »Und du bist schwanger. Lucy, was denkst du dir nur dabei?«
Inzwischen ärgerte ich mich darüber, dass ich sie hatte anrufen lassen. »Ich denke, dass du jetzt den Mund halten und mich irgendwohin bringen solltest, wo ich etwas zu essen bekomme.«
Priscilla hat ihre barschen Worte schon immer durch ihre Körpersprache unterstrichen – missbilligend herabgesunkene Schultern, lange, vorwurfsvolle Blicke, gen Himmel verdrehte Augen. Doch diesmal breitete sich ein völlig ungewohnter, weicher Ausdruck auf ihrem Gesicht aus, und sie nahm meine Hand und küsste meine Finger.
»Es tut mir leid, Süße. Du kannst im Moment keine Vorträge gebrauchen. Ich bin bloß froh, dass du mich angerufen hast.«
Wir fuhren jede mit dem eigenen Wagen zum Olive Garden, nicht weit vom Krankenhaus entfernt. Ich hatte Hunger, doch auf einmal wurde mir vom Geruch nach italienischem Essen übel.
Ich bestellte Suppe und Grissini und trank in kleinen Schlucken mein Wasser, während Priscilla mit dem Kellner flirtete. Sie ließ die schimmernden Kronen blitzen und befingerte den Diamantstecker in ihrem Ohrläppchen. Ich versetzte ihr unter dem Tisch einen Tritt, und sie funkelte mich an.
Als der Kellner wenig später mit unserem Essen kam und offenbar erwartete, dass es nun so weitergehen würde, tat er mir beinahe leid, denn Priscilla lauschte den Nachrichten auf ihrem BlackBerry. Da sie ihn nicht einmal zur Kenntnis nahm, trollte er sich mit verletzter Miene.
Nach einem längeren Monolog über ihre unfähige Sekretärin, die ihr vier Nachrichten auf die Mailbox gesprochen hatte, stopfte Priscilla ihr Handy in die Handtasche und sah mir ins Gesicht.
»Hast du Angst, Lu?«
»Ein bisschen. Aber ich gehe einfach davon aus, dass alles in Ordnung ist, bis Charlotte mir etwas anderes sagt.«
Priscilla warf mir einen scharfen Blick zu und schüttelte den Kopf. »Du hast das schon einmal erlebt, Lu. Genau wie ich. Wir wissen doch beide, wie hohl es sich anhört, wenn Ärzte sagen, die Sache sei wahrscheinlich völlig harmlos. Da bleibt einem das Herz stehen.«
Ihre schonungslose Einschätzung der Lage fühlte sich an wie ein Schlag in die Magengrube, und ich hatte Mühe, nicht in Tränen auszubrechen. »Ich versuche einfach, keine Angst zu haben, Priscilla. Nicht jetzt. Ich bin schwanger, und ich will keine Angst haben!«
Priscilla musterte mich mit schmalen Augen. »Was wirst du Mickey sagen?«
Ich starrte auf meine unberührte Suppe. »Hoffentlich nichts. Hoffentlich werde ich ihm gar nichts sagen müssen.«
Meine Schwester sah aus, als wolle sie etwas sagen, aber sie schluckte es hinunter und griff nach meiner Hand. Sie starrte mich durchdringend an, mit jenem Ausdruck in den dunkelgrünen Augen, der viele Leute einschüchterte. Bei mir funktionierte er nicht. Schon gar nicht, als sich Zuneigung in dieses eisige Funkeln schlich.
»Woran hast du gerade gedacht?«, fragte sie leise.
»Um ehrlich zu sein, an Mom. Auf dem ganzen Weg hierher musste ich immer wieder daran denken, wie hart sie darum gekämpft hat, bei uns zu bleiben. Wie schwer es für sie war, ihre Töchter zu verlassen.«
»Ich mache ihr heute noch manchmal Vorwürfe.«
Ich seufzte. »Warum tust du dir das an, Priss? Schon dein ganzes Leben lang bist du wütend auf Mom. Sie ist seit sechzehn Jahren tot. Hör endlich auf, ihr böse zu sein!«
»Ich verstehe sie einfach nicht. Warum bekommt eine Frau Kinder, wenn sie ihnen ein solches genetisches Erbe aufbürdet? Meiner Meinung nach ist das, was sie uns angetan hat, praktisch unverzeihlich. Sieh dir nur unser aller Leben an. Sieh dir an, was wir durchmachen müssen.«
»Und die Alternative, Priscilla?«
»Ich weiß. Aber sie
wusste,
dass sich Krebserkrankungen in ihrer Familie schon lange häufen, und sie hat sich trotzdem dafür entschieden, drei Töchter zu bekommen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ehrlich, manchmal könnte man dich für geisteskrank halten.«
»Das ist nicht witzig. Aber wenn es so wäre, könnte ich das wahrscheinlich auch Mom zuschreiben.«
»Tja, da hast du mehr Glück als die meisten Frauen in den Wechseljahren«, erwiderte ich sarkastisch. »Du kannst immerhin genau eine Person identifizieren, die für all dein Elend
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