Tanz auf Glas
Wasserkessel an. »Spiel mir nichts vor, Mickey. Muss ich mir Sorgen machen?«
»Nein, absolut nicht.« Er wandte sich wieder dem Projekt auf dem Tisch zu.
Wenn er ins Trudeln geriet, musste seine »Neugier« bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung sofort befriedigt werden, und seine Laune hing dann von den Zahlen ab. Wenn es an den Aktienmärkten aufwärtsging, konnte seine Begeisterung jegliche Vernunft ausschalten. Wenn es schlechtstand, konnten Angst und Katastrophenvorstellungen dasselbe bewirken. An manchen Tagen sah er mehr als hundertmal nach, wie der Dow Jones Industrial stand.
Es war noch zu früh, deswegen beunruhigt zu sein, sagte ich mir, doch zugleich fragte ich mich, ob Mickey seine Medikamente richtig einnahm. So beiläufig wie möglich fragte ich ihn danach und wappnete mich für das deutlichste Anzeichen dafür, dass wir ein Problem hatten: einen Wutausbruch. Aber Mickey blickte nur zu mir auf und grinste.
»Alles genau nach Vorschrift, Lu. Und heute Nachmittag lasse ich die Blutwerte nehmen.« Als ich nach außen hin nicht reagierte, stand er auf und strich mir auf dem Weg zum Kühlschrank über den Kopf. »Tu nicht so, als wärst du nicht erleichtert«, sagte er mit einem Lachen. Er kannte mich zu gut. Ich war erleichtert darüber, dass er seit seiner Entlassung aus dem Edgemont ziemlich stabil geblieben war. Aber ein veränderter Schlafrhythmus kündigte normalerweise eine drastische Verschlechterung an, also nahm ich mir vor, genau auf ihn zu achten.
Mickey neigte schon immer zu seltsamen Zwängen – zum Beispiel verfolgte er fieberhaft die Wettervorhersage für das ganze Land oder die Preise für Benzin und Flugtickets. Manchmal zählte er irgendwelche Dinge – wie viele Grashalme an seinen Schuhen klebten, nachdem er den Rasen gemäht hatte, die Anzahl der Werbespots während einer halbstündigen Sitcom oder die roten Autos auf der Straße. Genauso oft, wie das scheinbar eskalierte, war es auch wieder deeskaliert, deshalb waren diese Eigenarten nicht unbedingt zuverlässige Anhaltspunkte für seine geistige Stabilität. Aber wenn er so zwanghaft wird, dass er rote Autos zählt, die von kurzhaarigen Frauen mit Kreolen in den Ohrläppchen gefahren werden, ist es höchste Zeit, seine Medikation anpassen zu lassen, und das weiß er auch. In den meisten Fällen kümmert er sich selbst darum. So einen Mann muss man einfach lieben. Und mit dem Wissen leben, dass es manchmal eben doch passiert und irgendetwas ihn an den Rand des Abgrunds treibt.
Ich strich den Bademantel über meiner schmerzenden Brust glatt und dachte, dass
das
zu den Dingen gehörte, die ihn ganz sicher dorthin bringen würden.
»Alles in Ordnung? Du schaust so besorgt drein.« Mickey streckte die Hand nach meiner aus und küsste mein Handgelenk. »Es geht mir gut, Lu. Ehrlich. Aber wenn ich in der nächsten Nacht wieder nicht gut schlafe, rufe ich Gleason an.«
»Und dafür liebe ich dich.« Ich saß da, wartete darauf, dass sich mein Magen wieder beruhigte, und sah zu, wie er die Wirtschaftslage der Nation aufzeichnete. Vor ein paar Jahren, fiel mir ein, hatte er die wirtschaftliche Entwicklung bis zu Reagans letztem Regierungsjahr zurückverfolgt.
Als der Kessel pfiff, hängte ich einen Zimt-Mandarine-Teebeutel in die Tasse und überlegte hin und her. Was sollte es bringen, Mickey vom Tag zuvor zu erzählen, solange ich keine Gewissheit hatte, ob es überhaupt etwas zu erzählen gab? Wahrscheinlich gar nichts. Aber wir hatten einander dieses lästige Versprechen gegeben, niemals vor dem jeweils anderen zu verbergen, was wir durchmachten und empfanden. Ein anderes Versprechen hatten wir allerdings schon gebrochen, und nur zum Besseren …
Ich ließ meinen Tee ziehen und setzte die möglichen Worte zur denkbar schonendsten Anordnung zusammen.
Ich war nicht ganz ehrlich zu dir, Schatz. Eigentlich geht es mir nicht gut. Charlotte hat eine Verdickung und einen Schatten festgestellt und mich zu einem Spezialisten geschickt. Dr. Matthews fand die Stelle auch verdächtig und hat eine Biopsie gemacht. Ich muss ehrlich sagen, dass mir davor graut, was das bedeuten könnte. Also, nein, es geht mir heute Morgen nicht gut, Mic, aber es ist eine wohltuende Erleichterung, meine Sorgen mit dir zu teilen, mit meinem großen, starken, wunderbaren Mann.
Ich nippte an meinem Tee und wappnete mich. »Mic, Schatz, ich muss mit dir reden, ehe du …«
Das Bimmeln des schnurlosen Telefons auf dem Tisch unterbrach mich. Harrys Auto
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