Tanz der Dämonen
hervorgeflattert.
»Verdammtes Gezücht«, rief der Pater – eine wenig fromme Ausdrucksweise. Er schien erschrocken zu sein, und in seinem ganzen Verhalten konnte er den Eindruck wachsender Unsicherheit nicht verbergen.
»Vielleicht auch keine harmlosen Flattertiere«, sagte ich und nahm einen Faden unseres ersten Gespräches wieder auf. »Vielleicht Pazuzu, Dämon von Assyrien, der einen Rattenkopf hat, vier Flügel und den Schwanz eines Skorpions …« Der Anblick der gemeißelten Wasserspeier mag mir diese Worte eingegeben haben.
Der Pater streifte mich mit einem misstrauischen Blick und sagte nur: »Weiter!«
So brachten wir den Rest der Treppe hinter uns; das Keuchen seiner Lungen und das Geräusch seiner stolpernden Schritte verhallten, als er die hölzerne Tür am Ende der Wendeltreppe aufstieß. Auch ich war jetzt zu sehr außer Atem, um etwas zu sagen. Mein Herz klopfte wie das Echo eines hämmernden Gedankens: Was will er wirklich von mir?
Wir standen jählings in einer erschreckenden Leere. Nichts als schwarzer Nachthimmel. Eisiger Wind traf mich und griff unter mein Gewand. Es war, als wolle er mich emporheben und davontragen. Dicht vor meinen Augen war das Mauerwerk zu Ende; nur die Balken und Bretter des Baugerüstes trennten mich vom Abgrund. Über mir erhob sich die Verkleidung des Baukrans, eine Art Turmkörper für sich, aus dem der mächtige Balkenarm hervorragte, düster und drohend wie ein Galgen. Von Zeit zu Zeit, wenn der Wind zupackte, ächzte das hölzerne Gefüge dieses Ungetüms und knackte leise.
Für einen Augenblick hatte ich Nabor vergessen, bis mir sein keuchender Atem, der nur langsam zur Ruhe kam, seineAnwesenheit wieder ins Bewusstsein rief. Er stand dicht neben mir! Ich zuckte zusammen und tadelte mich selbst wegen meiner Unvorsichtigkeit: Es durfte nicht geschehen, dass ich ihn aus den Augen ließ!
»Hier sind wir dem Himmel am nächsten«, sagte er, mühsam die Worte formend.
Oder der Hölle, dachte ich.
»Hier haben wir Ruhe und können reden …«
Das war es, was ich gewollte hatte. Aber trotzdem waren meine Gedanken abgelenkt. Ich schaute unsicher über das Mauergesims: Da lag im Mondlicht der gigantische Rumpf der Kathedrale – wie ein Gebirge. Die Leere ringsum ängstigte mich. Ich kauerte mich nieder. Vorsichtig, auf Händen und Knien, näherte ich mich der gefährlichen Kante. Dabei gab ich sorgfältig Acht, dass Nabor sich nicht in meinem Rücken befand. Er schien jedoch gar nicht an meinem Tun interessiert, sondern lehnte an der Schindelwand des Kranmantels, ganz damit beschäftigt, nach der Anstrengung des Aufstiegs seine Kräfte wiederzugewinnen.
Diese Weite und Tiefe – schwindelerregend! Unten, auf dem Pflaster, blinkte das Mondlicht in einer vereisten Pfütze. Wie fern!
Deutlich erkannte ich die verschiedenen Teile des Bauwerks. Abrupt und gewaltig stieg die Abschlusswand des Chorhauses in die Höhe. Das steile Dach mit dem unglaublich hohen Dachreiter stand kühn und scharfgratig gegen den schwarzen Himmel, umgeben von verwirrend zahlreichen Giebeln und Türmchen, Spitzen und Bögen. Aus diesem Blickwinkel erschien der Bau wie ein ungeheures Schiff, das mit ragendem Mast und vollen Segeln übers Meer gleitet. Geradewegs unter mir erkannte ich die noch unfertigen Bauabschnitte, zwergenhaft mit ihren kleinteiligen Dächern.
»Schau nur hinunter«, sagte Nabor plötzlich – ganz nah!
Verdammt, ich hatte ihn doch erneut aus den Augen gelassen!
»Es geht tief hinab, nicht wahr?« Was wollte er damit sagen?
Das prickelnde Gefühl in meinem Nacken, das ich als die Ahnung einer Gefahr kannte, war von alarmierender Stärke.
Er kicherte leise. Seltsam. Ich hatte bei ihm noch nie ein Lachen oder etwas Ähnliches wahrgenommen. Er hatte sich verändert, wirkte fast entspannt und selbstzufrieden. Ich zog mich vom Abgrund zurück und kauerte mich an den Sockel eines Steinpfeilers. Wie kalt es war!
»Kennst du nicht die Geschichte vom Dombaumeister und dem Teufel?«, fragte er.
Ich schüttelte den Kopf. Wollte er mir jetzt Märchen erzählen?
»Eine Sage«, vermutete ich.
»Ja. Gewiss. Der Dombaumeister hatte mit dem Teufel gewettet. Es ging darum, wer eher fertig wäre. Er mit seinem Kirchenbau oder jener mit einem Tunnel, den er durch das Land graben wollte, vom Laach in der Eifel bis hierher in die Stadt.«
»Und?«
»Was glaubst du, wer gewonnen hat?«
»Der Mann. In solchen Geschichten hat immer der Teufel das Nachsehen.«
»Nein. Diesmal nicht.
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