Tanz der Dämonen
entstellt. Ein krampfhaftes Keuchen. Oder kommt das aus meiner eigenen Brust?
Er ist unfähig, mich zu retten, aber auch unfähig, mich hinabzuwerfen. Ein leichter Stoß würde genügen! Wie sehr es ihn drängt, mich stürzen zu sehen! Dennoch: Er wird es nicht tun! Versucht und misslungen! Er bringt es kein zweites Mal fertig, und er hasst sich dafür. Das alles erkenne ich in diesem winzigen, ewig langen Augenblick, während das Blut durch meine Adern rauscht, mein Herz rast und ich Kraft sammeln muss, um mich auf das rettende Gesims zu stemmen.
Da geschieht etwas Unglaubliches: Nabor hat plötzlich nicht zwei Arme, sondern vier. Zwei sind auf seine Knie gestützt, weil er sich vorgebeugt hat. Und zwei breiten sich rechts und links von seinen Schultern aus, verharren drohend wie die gespannten Schwingen eines riesigen, düsteren Vogels – und schlingen sich dann, statt auf mich niederzufahren, mit erbarmungsloser Gewalt um den Körper des Priesters. Irrtum: Ein zweiter Mann ist es, dessen Arme Nabor packen! Ein erbittertes Ringen, ohne irgendeinen Laut.Beide Gegner bieten alle Kräfte auf, doch der Pater ist in der schlechteren Position. Durch den Angriff überrumpelt, hat er nur wenig Chancen, sich zu wehren. Der zweite Mann greift noch fester zu. Nabor wird hochgerissen, seine Füße zucken in der Luft, dann stößt sein Gegner ihn von sich. Keuchend entlädt sich sein Atem. Nabor überschlägt sich, stürzt kopfüber, und sein zuckender Körper schießt dicht an mir vorbei. Sein Mantel streift über mein Gesicht. Dann ein schriller, unmenschlicher Schrei, der über die Dächer hallt und in der Tiefe verstummt.
Ich presse das Gesicht auf meine Arme, bemühe mich, das Zittern zu unterdrücken, das mich plötzlich schüttelt. Wie lange können meine schmerzenden Finger diesen Griff noch halten? Da fühle ich kräftige Hände, die mich am Kragen packen. Ich werde emporgehoben. Meine Jacke zerreißt, ich höre das Geräusch, ehe ich stürze. Eine Stimme flucht leise, eine Stimme, die ich kenne, Hände greifen unter meine Achseln. Schmerzhaft schrammen meine Knie über das Gesims, und dann fühle ich festen, kalten Stein unter meinem Hintern. Das Zittern hält an. Ich kralle mich an die Unebenheiten des Bodens, als müsste ich im nächsten Augenblick wieder in die Tiefe gleiten. Schweiß auf meinem Körper, eiskalt vom schneidenden Wind. Haltloses Schluchzen.
»Mach die Augen auf, es ist vorbei«, sagt die Stimme, diese Stimme, die ich so gut kenne, und ich gehorche, obwohl es mir schwer fällt. Ich brauche gar nicht hinzusehen. Da ist kein Zweifel möglich: Es ist Ahasver.
RKANA
Ahasver ging mit langen Schritten durch die düstere Gasse. Keine Spur mehr vom Hinken. Er trug seinen weiten Mantel, in dem er aussah wie ein alter Rabe. Die Kapuze hatte er tief ins Gesicht gezogen. Offenbar wollte er nicht erkannt werden. Er hatte verlangt, dass auch ich mich mit einem Tuch vermummte. Diese Geheimniskrämerei hätte mir Angst gemacht, wäre ich nicht von dem überstandenen Schrecken beherrscht gewesen. Ich hatte in den letzten Tagen genug erlebt, um zu wissen: Jeder Schritt in dieser Stadt bedeutete Gefahr. Aber so unausweichlich hatte ich den Tod noch nie vor Augen gehabt. Meine Knie zitterten immer noch.
Wir hatten kaum miteinander gesprochen, Ahasver und ich, während wir die Treppen vom Turm hinabgestiegen waren. Der Wächter hatte in tiefem Schlaf gelegen. Sein Kopf war in den Nacken gesunken, sein Mund stand offen und ließ hässliche Zahnstummel sehen, ein krampfhaftes Schnarchen entrang sich seiner Brust.
Unten angekommen, hatte der Alte mir bedeutet, stehen zu bleiben. Er war mit einem Kienspan als Fackel über das Baugelände gegangen und hatte sich vergewissert, dass Nabor tatsächlich nicht mehr am Leben war. Um keinen Preis hätte ich ihn dabei begleiten können. Ich wandte mich ab, aus Furcht, mein Blick könne zufällig den Toten treffen. In meiner Phantasie malte ich mir das Bild aus – vielleicht noch grässlicher, als es in Wirklichkeit war. Diese Vorstellung würde mich lange verfolgen. Vielleicht würde ich sie niemals loswerden.
Zugleich, so als geschehe dies auf einer anderen Ebene meines Bewusstseins, waren meine Gedanken fieberhaft damit beschäftigt, das Geschehene hin und her zu wenden – ein hilfloser Versuch,es zu verstehen und in die Gesamtheit meiner Erlebnisse einzuordnen.
Wie hingen die Fäden zusammen, die eines mit dem anderen verknüpften? Pater Nabor, dessen
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