Tanz der Dämonen
gar nichts. Nur das Rütteln und Stoßen hielt an. Wie das Rollen eines Karrens auf unebenem Grund. Wo war ich? Etwas Klebriges rann mir im Nacken herunter.
Schließlich fasste ich den Mut, erneut die Augen zu öffnen. Der Wolfskopf war immer noch da. Er hatte sich nur zur Seite gedreht. Sonst bewegte er sich nicht. Oder besser: Er ruckte einfach im selben Rhythmus auf und ab, der auch mich durchschüttelte. Die gelben Augen starrten ins Leere. Zwischen den Fangzähnen quoll blutiger Schaum hervor. Das sah ich im kalten Mondlicht.
»He«, rief jemand. »Wo bin ich?« War das meine Stimme? Es klang wohl mehr wie ein Krächzen.
»Bist du wach, Wölfchen?«
»… oooh.«
»Hörst du? Er sagt was. Hat sich doch fürs Leben entschieden, glaub ich.«
»Wo …«
»Halt besser dein Maul, grad’ jetzt! Oder willst du die Wachen aufmerksam machen? Hihi! Hast du gehört? Das reimt sich!«
Wir fuhren über dröhnende Brückenbohlen, und über mir wölbte sich ein Torbogen. Der Karren hielt an. Mehrere Stimmen waren zu hören. Dann ging es weiter. Ich hielt jetzt die Augen wieder geschlossen und dachte: Vielleicht sieht mich keiner, wenn ich keinen sehe. Der Schmerz ließ etwas nach. Ich konnte wenigstens wieder denken.
Ich liege auf einem Karren. Das sind Wolfsjäger, die zwei. Sie müssen mich gefunden haben. Ohne die wäre ich erfroren …
Zorn wallte in mir auf, weil mir einfiel, wie mich Ferrand undseine Totschläger behandelt hatten. Langsam kam die Erinnerung wieder. Wie eine dumme Gans war ich ihnen in die Falle gegangen.
Wenn ich mich doch nur rühren könnte!
»Porca miseria!«, würde Pietro sagen. Was für ein verdammtes Elend!
Die Fahrt durch finstere Gassen dauerte nicht lange. Dann rollte der Karren in einen stinkenden Hof. Übelkeit stieg in mir auf. Wo mögen wir sein?, fragte ich mich.
Da war ein Schuppen oder eine Werkstatt. Hier war der ekelerregende Geruch noch stärker, scharf und faulig zugleich. Einer der beiden Kerle kletterte auf die Ladung und beugte sich über mich.
»Na, Jungchen«, sagte er. »Woll’n wir ’s mal ernsthaft versuchen?«
Er zerrte den toten Wolf von mir weg und noch zwei andere. Dann packte er mich am Kragen und hob mich hoch. Unsicher kam ich auf die Beine und konnte mich nur aufrecht halten, weil er mich stützte. Ich knickte ein.
»Was is ’n das?«, kicherte sein Kumpan. »Schon wieder zum Tanz’n aufgelegt?«
Schwindel trug mich davon, und die Knie gaben nach. Die Männer mussten mich beide stützen und führten mich zu einer wackligen Bank. Im Licht einer Laterne nahm ich allmählich wahr, was dort vor sich ging. Wolfskadaver lagen am Boden. Felle waren zum Trocknen aufgespannt. Ein stechender Geruch waberte aus Zubern, die wohl beim Gerben gebraucht wurden, und vor allem aus einer schwarzen Grube, in der vermutlich die Überreste der Kadaver gesammelt wurden. Eine dreckige Frau von unbestimmbarem Alter schlurfte mit krummem Rücken herbei und musterte mich feindselig. Mehrere verkommen aussehende Kinder huschten wie Ratten durch die Dunkelheit.
»Bist ja ganz hübsch zugerichtet«, sagte die Frau. »Wohl den falschen Leuten in die Quere gekommen, was …? Kommt weg, Kinder, wer weiß, was das für einer ist!« Dazu machte sie das Zeichen gegen den bösen Blick. Die Gabel aus Zeigefinger und kleinem Finger. Verdammte Hexe!
Ich wandte mich ab, was sofort wieder rasende Schmerzen im Nacken auslöste. Ich tastete ängstlich an meinen Hinterkopf und fühlte eine Schwellung und verkrustetes Blut im Haar. Im gleichen Augenblick muss ich wieder in Ohnmacht gefallen sein.
IN T AG VOLL S ONNE UND W IND
Eine lange Dunkelheit, in der mich wirre Träume quälten, Träume, an die ich keine Erinnerung habe, und eine Dunkelheit, in der ich Stimmen hörte, die mir Schmerz verursachten. Seltsame Bilder gaukelten mir verworrene Dinge vor. Dann wurde es immer deutlicher, dass es stets dieselbe Stimme war, die ich vernahm. Schließlich unterschied ich die Worte: »Kat! Hörst du mich? Komm schon, mach die Augen auf!«
Meine Lider waren schwer wie Blei, aber irgendwie brachte ich es doch fertig, sie zu bewegen. Das Licht tat weh.
»Ich – will nicht …«
»Doch, doch. So ist es gut.«
Ich fühlte Wasser im Gesicht. Und ich wusste, wer zu mir sprach: Sambo! Zugleich begann ein seltsames Wirbeln in meinen Gedanken, etwas wie Schwindel, ähnlich dem Gefühl, wenn man unversehens von einem hohen Standort in die Tiefe blickt. Der Schrecken war: Ich erlebte
Weitere Kostenlose Bücher