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Tanz der Dämonen

Tanz der Dämonen

Titel: Tanz der Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Westfehling
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trat ein Umstand ein, der alle Bedingungen änderte.
    Wahrscheinlich spürte ich es früher als die anderen, denn es begann mit einer Empfindung, die ich schon kannte, und alle meine Sinne waren aufs äußerste geschärft: Da war es wieder, dieses eisige Prickeln, das über meinen Körper lief, und dieses lähmende Entsetzen, mit dem ich wahrnahm, dass ein fremder Wille von mir Besitz ergriff. Es war diese unheimliche Macht des Magus, die ich schon vor einigen Tagen, im Haus von Pater Nabor, und dann ein zweites Mal heute, hier in diesem Zimmer, vor höchstens einer Stunde, wahrgenommen hatte. Allerdings hatte seine Macht sich bei diesen Gelegenheiten nicht so stark entfaltet wie jetzt. Diesmal zwang sie alle, die sich im Raum befanden, in ihren Bann. Grifone verharrte ungläubig in seiner Körperhaltung, und Ahasver hielt mit leerem Gesichtsausdruck mitten in der Bewegung inne. Wir alle standen, unfähig, uns zu rühren, jeder an seinem Platz – als wären wir Statuen.
    Der Magus, der als Einziger fähig war, sich frei zu bewegen, durchquerte das Zimmer mit gemessenem Schritt und trat an den Alten heran, der ihm stumpfsinnig entgegenblickte. Wie schnell diese Lähmung eingetreten war! Nicht einmal ein Schwanken war zu bemerken! Und alle schienen ohne Bewusstsein. Ich selbst vermochte allerdings zu beobachten, was vor meinen Augen geschah. Wenigstens das! War es vielleicht so, weil ich die Wirkung dieser Macht schon einmal gespürt hatte?
    Mit einer geradezu sanften Bewegung nahm der Magus das Buch aus den reglosen Händen, die in ihrer Stellung blieben, als hielten sie den begehrten Gegenstand noch immer umklammert. Der goldene Skorpion klirrte zu Boden. Der Magus hob ihn auf, sorgsam bedacht, ihn genau so anzufassen, wie Ahasver es getan hatte; er betrachtete das mörderische Ding mit Interesse – und warf es durch das Fenster in die Nacht.
    Der Zeitraum, in dem sich die nun folgende Szene abspielte,schien sich ins Endlose zu dehnen, obwohl sie doch nur wenige Minuten dauerte. Der Magus zündete ohne jegliche Hast eine Kerze an und betrachtete den Einband des Buches. Er war aus einem glatten, schillernden Material, das an Schlangenhaut erinnerte und die Farbe wechselte, je nachdem, wie das Licht darauf fiel. Als er den Buchdeckel zurückschlug, trat ein fiebriger Ausdruck in seine Züge, eine Erregung, wie ich sie vorher noch nie bei ihm erlebt hatte. Die Seiten, die er umblätterte, schienen aus einer Art weichen Pergaments zu bestehen und wirkten alt und brüchig. Nie gesehene Schriftzeichen und Bilder von unbegreiflicher Ausdruckskraft glitten an meinen Augen vorbei, während der Magus suchend weiterblätterte, bis er innehielt und eine Stelle näher in Augenschein nahm.
    Um ausführlich zu lesen, zog er seine Klappbrille hervor und setzte sie sich auf die Nase. Sein Finger folgte den Zeilen, und seine Lippen formten unhörbare Laute, die mir, obwohl ich ja nur nach den Mundbewegungen urteilen konnte, in höchstem Maße fremdartig vorkamen.
    Er begann im Lesen auf und ab zu schreiten. Dann blieb er dicht vor mir stehen, und ich erkannte mit aller Deutlichkeit die abgewetzten Ecken der Buchdeckel und die seltsamen Spangen aus Bronze oder einem ähnlichen Material, die den Band in geschlossenem Zustand zusammenhalten sollten; sie hatten die Form gekrümmter Krallen oder drohender Zähne, die aus den Kiefern eines Ungeheuers ragten. Der Magus schaute auf; sein Blick traf mich, ging durch mich hindurch und schweifte ausdruckslos in die Ferne. Dann blinzelte er und schien mit einem Ruck wieder zu vollem Bewusstsein zu erwachen. Seine Hände sanken nieder. Er ließ das Buch auf den Tisch gleiten, achtlos, so dass die Schachfiguren, die dort standen, umfielen und zu Boden purzelten, schritt zur Tür, schlug tief in Gedanken den Pelzkragen an seinem Wams empor und verließ uns, ohne sich noch einmal umzuschauen.
    Langsam, so wie man aus schwerem Schlaf erwacht, kehrten die Kräfte des Lebens in meinen Körper und meinen Geist zurück. Dieerste entschiedene Regung, die ich in meiner Nähe bemerkte, kam von Ahasver.
    Er wandte sich dem Tisch zu, tat einen wankenden Schritt und ergriff das Buch, nach dem auch Grifone trachtete. Ahasver war jedoch schneller. Er umklammerte den Band mit beiden Händen und drückte ihn fest an sich, als hinge sein Leben davon ab.
    »Geh – mir – aus dem Weg!«, keuchte der Alte. Grifone dachte aber gar nicht daran. Eine Weile standen sie sich leicht schwankend gegenüber, maßen sich mit

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