Tanz der Dämonen
»Niemand sollte dieses Ding berühren, der dessen Geheimnis nicht kennt.« Ungläubig wende ich mich um. Ich muss träumen! Diese Stimme kenne ich nur allzu genau, aber … Er kann einfach nicht hier sein!
»Ahasver«, flüstere ich. »Ihr seid doch tot!«
»Wie man’s nimmt«, kommt es zurück. »Manchmal kehrt einer von den Toten wieder, wenn ihn danach gelüstet.«
Kein Zweifel: Da steht er vor mir, hoch aufgerichtet auf der letzten Stufe und dadurch alle überragend. Sein Gesicht wirkt auf eine schwer beschreibbare Weise verjüngt. Vielleicht liegt es daran, dass sein Haupthaar zum Knoten gebunden und sein Bart geschoren ist. Er trägt ein Wams und eine Pelerine, die ich an ihm noch nie gesehen habe. Und in seinen Augen leuchtet ein unbändiger Triumph.
Sein Blick fällt auf mich. »Komm her zu mir, mein Kind«, sagt er. Seine Stimme dröhnt in meinem Kopf. Ich möchte zurückweichen, aber ich kann es nicht; es ist wie in meinen schlimmsten Albträumen!
Ahasver sieht vermutlich, was mit mir los ist. Ein überlegenes Lächeln spielt um seine Lippen, und er steigt die letzte Stufe herab,schreitet unbekümmert an Rau vorbei, der sich kein Jota rührt, und tritt zu mir heran. Ich fühle seine Hand schwer auf meiner Schulter. Unbezweifelbar die Hand eines Lebenden. Ich verstehe gar nichts mehr und gebe den Willen auf, es weiter zu versuchen. Von den anderen kümmert das keinen. Grifone gibt seinem Gefolgsmann ein Zeichen, das ihm gebietet, sich ruhig zu halten. Überflüssige Geste. Ich habe den Eindruck, dass der in diesem Augenblick ohnehin nicht imstande ist, etwas zu unternehmen.
Der Magus hingegen hat sich schnell gefasst. »Aha«, sagt er zu Grifone, »die Kräfte sind neuerdings nicht mehr so eindeutig verteilt, nicht wahr?«
An Stelle des Angesprochenen antwortet Ahasver: »Freut Euch nicht zu sehr, mein Freund! Wie soll ich Euch diesmal nennen? Es ist Abend, aber noch nicht Morgen.«
Also kennt er den Magus? Der Angeredete gibt keine Antwort.
Mir erscheint das alles so unwirklich, dass ich mich über nichts mehr wundern kann. Ahasver steht mitten unter uns, die Hand auf meiner Schulter … Ist das eine Geste der Zuneigung oder eher eine Bedrohung? Stehe ich unter seinem Schutz, oder bin ich seine Geisel? Oder ist das alles nur Einbildung – eine täuschende Erscheinung meiner überreizten Sinne? Werde ich langsam verrückt?
Meine Verwirrung ist grenzenlos: Vor mir steht ein Mann, der in den Fluten des Rheins ertrunken war. Und am Boden liegt Anselmus, auf grässliche Weise zu Tode gekommen, Bruder Anselmus, der – alles in allem – für mich so etwas wie ein Freund gewesen ist. Und Grifone und der Magus überbieten sich in doppelbödigen Höflichkeitsfloskeln, obwohl sie sich gegenseitig zweifellos lieber in die Hölle schicken würden. Und dann dieses rätselhafte, furchterregende Ding, das wahrscheinlich die Erklärung für allen Schrecken und alle Ungereimtheiten der letzten Tage und Wochen enthält – und keiner wagt, es zu berühren!
Es war Ahasver, der das Schweigen brach. »Also gut. Ihr habt natürlich völlig Recht, dass Gift im Spiel ist. Zum Glück weiß ich, was zu tun ist. Es steht uns nichts im Wege, das verdammte Dingnach oben zu bringen. Es muss nur richtig angefasst werden!« Sein Blick zielte auf Grifone. »Du, mein Sohn, wirst diese Aufgabe übernehmen.«
»Warum sollte ich das tun?«
»Weil ich es dir sage. Und auch, weil du gewiss nicht willst, dass deinem Kind etwas Unangenehmes geschieht.«
Damit hielt er ein Messer, das er unversehens hervorgezogen hatte, an meinen Hals. Mir war weiß Gott reichlich Unangenehmes geschehen in der letzten Zeit, und gegen das meiste davon hatte Grifone keinen Finger gerührt. Aber seltsamerweise fügte er sich nun bereitwillig den Anweisungen des Alten.
Er fragte nur: »Wie kann ich es anfassen, ohne dass es mich beißt?«
»Nur Ruhe«, brummte Ahasver. »Drück auf die linke Schere des Tierchens, jawohl, tu’s nicht mit der Hand, nimm die Spitze des Dolches.«
Grifone gehorchte. Ein leises Schnappen war zu hören.
»Sehr schön«, sagte Ahasver. »Jetzt fass es am Bodenteil an – berühr nur nicht den Stachel! – und trag es vor uns her. Du wirst finden, dass es weniger schwer ist, als es aussieht.«
Der Angesprochene hob die Schatulle leicht auf den Arm.
»Gut!«, knurrte der Alte. »Dann lasst uns gemeinsam hinaufgehen, und dass mir keiner eine unbedachte Bewegung macht!«
Er trat etwas zur Seite, um Grifone mit dem
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