Tanz der Engel
schlecht wurde, während ich meine Mutter umarmte. Christopher entging das natürlich nicht. Augenblicklich reagierte er, erklärte meiner Mutter, warum wir früher als geplant hier sein konnten, und schob mich unauffällig von ihr weg.
Um ein wenig Abstand zwischen mich und meine Mutter zu bringen, hängte ich mich an den Arm meines Vaters. Die Luft anzuhalten, sobald sie mir zu nahe kam, half, aber mein eigenartiger Atemrhythmus würde mit der Zeit sicher nicht nur Christopher auffallen.
Er verfolgte, wie ich mit mir kämpfte. Seine Augen kontrollierten im Sekundentakt, wie weit ich noch davon entfernt war, meinen Eltern einen Teil von mir zu zeigen, den sie noch nicht kannten. Nebenbei erzählte er ihnen eine wirklich mitleiderregende Geschichte, die erklärte, warum er die Sommerferien nicht mit mir verbringen konnte. Sie nahmen ihm die Story von der in Indien verschollenen Cousine, die er gesucht und gerettet hatte, ohne den leisesten Zweifel ab.
Als meine Mutter ein Dutzend lädierter Postkarten und Briefe auf den Küchentresen legte, verstand ich, warum: gefälschte Nachrichten, die erklärten, was Christopher in den abgelegensten Regionen Indiens gemacht hatte, mit ebenso verlogenen Liebeserklärungen. Der langwierige Postweg erklärte sich von selbst.
Während meine Mutter Christopher aufgrund seiner Heldentaten zum Traum aller Schwiegermütter emporhob, drehte sich mir der Magen um. Schneetreiben in Kanada, verlorene Cousinen in Indien. Kannten Engel gar keine Skrupel?
Einige von ihnen sollten uns beschützen, der Rest offenbarbenutzte und manipulierte uns. Nur warum? Dass es angenehmer war, Züge, Autos oder Flugzeuge zu benutzen, anstatt bei anstrengenden Langstreckenflügen Wind und Regen ausgesetzt zu sein, verstand ich. Aber sonst? Besaßen die Engel bei uns mehr Freiheiten? Oder ging es hier um Macht und Einfluss?
»Und du, Linde?«
»Was? Ich …«
Meine Mutter strich mir sanft übers Gesicht. Viel zu spät hielt ich den Atem an. Selbst Christophers Muskeln spannten sich an.
»Linde, möchtest du auch ein Ei zum Frühstück?«, wiederholte sie ihre Frage.
Ich nickte und presste ein »Ja« hervor. Ihre Nähe machte mich aggressiv. Christophers Hand hielt mich davon ab, meiner Mutter zum Herd zu folgen und ihr die Krallen zu zeigen. Meine Streitlust lag bei hundert Prozent. Ihr die Augen zu öffnen, damit sie Christopher nicht länger in den Himmel lobte, wäre sicher lustig geworden.
»Deine Eifersucht ist unbegründet. Sie liebt dich, mich mag sie nur«, flüsterte er mir ins Ohr, während er mich zum Esstisch schob.
»Und warum zeigt sie mir das dann nicht?«, fragte ich ebenso leise.
»Wenn du aufmerksamer wärst, könntest du sehen, dass sie dich von Herzen liebt, auch wenn sie keine Worte darüber verliert.«
Ich schwieg und geriet ins Grübeln. Trotz meines abweisenden Verhaltens – immer wenn sie mir zu nahe kam, wich ich ihr aus – ließ sie sich nicht davon abbringen, mich zu berühren, mir über die Haare zu streicheln oder meinen Blick aufzufangen. Sie war unsicher, weil ich mich ihr entzog, und versuchte, indem sie Christopher Anerkennung schenkte, meine Wahl zu bekräftigen und mich indirekt zu bestätigen.
Als sie mir mit mütterlicher Fürsorge, die sie seit zwei Jahren zurückgeschraubt hatte, mein Ei servierte, konnte ich nicht anders, als aufzustehen und sie zu umarmen. Hätte ich heulen können, wären jetzt bestimmt ein paar Tränen geflossen. Auch wenn sie es nicht immer zeigte, sie liebte mich, egal was ich war.
Christopher ließ mich keine Minute allein. Ich nutzte seine Anhänglichkeit, um ihn in mein Zimmer zu lotsen – zu einem Gespräch unter vier Augen.
»Du wusstest das mit meiner Mutter. Warum hast du mich nicht gewarnt?«
»Was wäre das für eine Prüfung, wenn dir vorher gesagt würde, was drankommt?« Christopher schienen meine Gefühlsschwankungen zu amüsieren.
Ich schleuderte ihm meinen Kuschelteddy an den Kopf. Christopher, der mitten auf meinem meerblauen Teppich saß, duckte sich. Mein kleiner Schlafbär knallte gegen die erdbeerrote Wand, fiel zu Boden und blieb reglos liegen.
»Wenn du deine Aggressionen loswerden möchtest, können wir gern einen kleinen Spaziergang in die Berge machen.« Was so viel hieß wie: Nicht nur Aron und Ekin können dich in Trab halten.
Ich verzichtete auf das Training mit Christopher. Ein Kuss, und ich wäre k. o.
»Wird sie … ist das Dämonenerbe meiner Mutter zu groß, um ein Engel zu werden?«, fragte
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