Tanz der Engel
gefunden.«
»Das hab ich auch so!«, zickte ich zurück und wappnete mich für einen Anti-Sanctifer-Vortrag. Er fiel aus. Völlig unerwartet zog Christopher mich in seine Arme und strich liebevoll eine Strähne aus meinem Gesicht.
»Wir sollten nicht streiten. Für die nächsten Monate wirst du deine Energie für andere Dinge brauchen.«
»Lynn!« Marisa stürmte auf mich zu, so dass ihre rötlichen Haare hinter ihr her flatterten, als sie uns vor dem Gelben Haus entdeckte. »Du Arme! Sieben Wochen eingeschneit ohne Telefon und Internet. Wie hast du das bloß überlebt?«
»Mit Schneeschippen, Holzspalten und verstaubte, englischeBücher lesen«, antwortete ich – Aron hatte mich vier Stunden lang gebrieft.
»Und du!« Marisa wandte sich an Christopher. »Drei Monate verschollen in Indien? Wie krass! Du musst mir unbedingt alles erzählen!« Klar klang Christophers Geschichte spannender. Trotzdem wurmte mich Marisas Euphorie.
»Lasst uns frühstücken gehen. Die anderen werden vor Überraschung vom Stuhl kippen, wenn sie euch sehen«, sagte sie und hakte sich bei mir unter.
Niemand kippte – abgesehen von meiner Kinnlade, die nach unten klappte, als ich Juliane händchenhaltend mit Raffael entdeckte. Letztendlich hatte Marisas Plan mehr bewirkt, als nur Raffael und Hannah auseinanderzubringen. Natürlich saßen auch Florian und Max an unserem Tisch. Alle – außer Raffael – begrüßten uns überschwänglich. Wie erwartet wurde meine Geschichte nur kurz abgehandelt, während Christopher ausführlich über sein Indienabenteuer berichten durfte.
Ich blieb cool. Ich verkrafte das! , redete ich mir gut zu, als nicht nur Juliane und Marisa mit großen Augen an Christophers Lippen hingen, sondern auch Max und Florian ihn zum Helden aller Helden erhoben. Einzig Raffael unterlag nicht Christophers Charme. Ich war beinahe dankbar, als er sich zu Wort meldete.
»Wie eigenartig, dass ihr beide am selben Tag zurückgekehrt seid. Wenn Lynn nicht so blass wäre, würde ich vermuten, dass ihr in Indien zusammen gefeiert habt – wobei Chris auch nicht gerade aussieht wie von der Sonne geküsst.«
»Nicht überall kommt die Sonne durch. Dichte Wälder werfen tiefe Schatten«, konterte Christopher.
Raffael zuckte zusammen. Anscheinend verstand er die doppeldeutige Drohung.
Ein Schwall Sommergewitter erreichte mich. Ich schnupperte unauffällig, um Raffaels Geruch zu prüfen, doch ich fandnichts Außergewöhnliches. Er roch wie immer, nach frisch gefällter Kiefer – ohne schneidenden Beigeschmack. Entweder gab es nichts Dämonisches an ihm, oder der Kiefernduft überdeckte diesen Teil.
Ich testete weiter. Außer Christophers und Raffaels Duft nahm ich nur das Übliche wahr: zu viel oder zu wenig Deo, blumige Parfumnoten oder ganz normalen Körpergeruch, hin und wieder mit ein wenig Beigeschmack. Niemand in meiner Welt roch so intensiv wie Christopher, Raffael oder meine Mutter. Selbst Hannah verbreitete keine scharfe Note.
Im Gegensatz zu meinen Freunden reagierte Hannahs Clique geschlossen mit Abneigung – natürlich nur mir gegenüber. Ihre spöttischen Bemerkungen über meine dunklen Augenringe oder meine Tollpatschigkeit, wenn mir – aufgrund meiner gebändigten Klauen – etwa beim Völkerball der Ball aus der Hand rutschte, war nicht zu überhören. Und natürlich war auch nur mein Spind mit Sand aus der Sprunggrube gefüllt.
Als mir die kleinen Körnchen entgegenrieselten, schlug ich vor Wut so fest gegen die Spindtür, dass meine Faust einen sichtbaren Abdruck hinterließ. Mein Fluchen lockte Christopher zu mir. Er zögerte. Seine Umarmung hätte mich beruhigt. Doch er hielt es für besser, mich das allein hinbekommen zu lassen. Also spreizte ich meine Finger, presste sie gegeneinander und zählte bis zehn, bevor ich begann, meine Bücher vom Sand zu befreien. Wenigstens holte er Eimer und Besen, als er sicher war, dass ich mich unter Kontrolle hatte, und half mir, den Sand wegzuräumen.
Christopher war kein bisschen nachsichtiger als Aron. Weder während der Schulstunden noch beim Seeumrunden oder dem anschließenden Krafttraining.
»Aron hat mir genaue Anweisungen gegeben, und da er dein Tutor ist und nicht ich, bleibt mir nichts anderes übrig, als sie zu befolgen. Er möchte, dass du ein wenig zäher wirst«, erklärteChristopher und erhöhte das Gewicht an meinem Trainingsgerät.
»Sobald ich das bin, wirst du dir wünschen, ich wäre zart geblieben!«, zischte ich, spannte meine Muskeln an und
Weitere Kostenlose Bücher