Tanz der Engel
Aber wenn du möchtest, nehme ich dich gerne mit nach Venedig. Sanctifer wäre sicher begeistert.«
»Davon bin ich überzeugt. Aber danke, ich verzichte.«
»Und wohin soll ich dich dann bringen?« Raffaels Großzügigkeit machte mich stutzig.
»Habe ich denn eine Wahl?«
»Hat man nicht immer eine Wahl?«, erinnerte er mich an meine eigenen Worte.
Ich errötete. Genau wie er war ich nicht gefragt worden, als die Engel mich in ihre Welt gezogen hatten.
Raffaels Grinsen wurde breiter. »Offenbar siehst auch du das jetzt ein wenig anders.« Da ich schwieg, fuhr er fort. »Und? Wohin darf ich Mylady kutschieren?«
»Du meinst das ernst?«
»Da dir nichts Dämlicheres eingefallen ist, als ausgerechnet in meinen Kofferraum zu klettern, gehe ich davon aus, dass du – sagen wir – ein wenig in Bedrängnis bist. Und da ich zu einem Gentleman erzogen wurde, werde ich Mylady natürlich aus ihrer misslichen Lage befreien.«
»Und unter welcher Bedingung?« Raffaels Angebot klang viel zu verlockend.
Er zog einen Schmollmund, der mir ein Grinsen entlockte. »Na also. Du kannst ja doch noch strahlen – wie vor ein paar Monaten, als wir uns kennengelernt haben.«
Das Strahlen verging mir. Vieles war seitdem passiert. Ich war zu einem Engelswesen geworden und Raffael ein Flüsterer.
»Es gibt keinen Haken, abgesehen davon, dass ich Sanctifer berichten muss, wo du Weihnachten verbringst – nicht, wie du dort hingekommen bist.«
»Du bewachst mich also.«
»Mehr oder weniger. Sanctifer will wissen, wo du dich rumtreibst. Warum, hat er mir nicht verraten.« Erneut spürte ich Raffaels Unzufriedenheit darüber, nicht eingeweiht zu werden.
»Frag mich kurz vor Verona noch mal, wo genau du mich absetzen kannst.«
Ich wollte unbedingt wach bleiben, da ich Raffael nicht wirklich traute, doch ich verschlief die halbe Fahrt. Mein Absturz steckte mir noch in den Knochen.
Eine flüchtige Berührung und eine sanfte Stimme weckten mich.
»Und? Hast du dich entschieden, ob du nach Venedig oder doch lieber woanders hinfahren möchtest?«
Ziemlich erleichtert musste ich mir eingestehen, dass Raffael sein Versprechen gehalten hatte, da ich nicht in Sanctifers Armen, sondern auf dem Beifahrersitz neben ihm wach wurde.
»Bring mich nach Hause.« Meine Bitte klang wie ein Schluchzen.
Raffaels Blick streifte mich. Mitleid lag in seinen Augen. »Wenn du mir ein Lächeln schenkst, bringe ich dich, wohin du willst.« Ich bastelte eines für ihn zurecht. Kein schönes, aber es genügte ihm.
Nach über zwanzig Stunden Fahrt stand ich endlich vor meinem Zuhause.
»Ruf mich an, falls ich dich abholen soll«, scherzte Raffael, während er mir aus dem Auto half. Er wusste so gut wie ich, dass es dazu nicht kommen würde. »Pass auf dich auf«, flüsterte er, bevor er mir einen altmodischen Abschiedskuss auf die Hand hauchte.
»Und du auf dich«, gab ich die Warnung zurück.
Kapitel 23
Tanz mit dem Feuer
I ch nahm einen tiefen Atemzug, der mir verraten sollte, ob ein Engel in der Nähe war. Doch ich fand nur den süßlich scharfen Geruch meiner Mutter. Meine Vorfreude, sie gleich in die Arme schließen zu können, verdrängte all meine Bedenken, als ich auf die Klingel drückte.
»Linde?! Du bist schon da?« Sie freute sich genauso sehr wie ich. Sie liebte mich. Trotz ihres fremden Geruchs war sie dieselbe geblieben – genau wie meine Gefühle für sie.
Meine Augen brannten, als ich das festlich geschmückte Haus betrat. Sterne, schimmernde Weihnachtskugeln und überall Kerzen, gemischt mit dem Duft von Zimt, Vanille und Nelken. Selbst die blechernen Engelsfiguren wirkten friedlich auf mich angesichts des Weihnachtszaubers, den mein Zuhause ausstrahlte. Dankbar hielt ich mich an meiner Mutter fest. Hier war er, der Ort, der mir Sicherheit bot.
Nur ein paar Minuten nach mir betraten Philippe und mein Vater – mit einer Drei-Meter-Weihnachtstanne – das Haus. Ich vergaß meinen Karamellcappuccino und fiel zuerst meinem Vater und danach Philippe um den Hals. Mein Vater lachte, während Philippe mich ausbremste.
»Ich hoffe, du hast nicht vergessen, dass ich in festen Händen bin«, scherzte er und entzog sich meiner Umarmung.
»Sag bloß, du bist noch immer mit Lucia zusammen?!«
»Ja«, gestand Philippe und errötete.
»Das dürfte dann wohl neuer Rekord sein«, neckte ich ihn. Es tat so gut, meinen besten Freund wiederzusehen, nicht jedesWort auf die Goldwaage legen zu müssen und einfach nur ich selbst sein zu
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