Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz der Engel

Tanz der Engel

Titel: Tanz der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Itterheim , Diana
Vom Netzwerk:
zuckte zurück. Er war noch viel wütender als ich! Mir eine Alternative anzubieten war in seinen Augen mehr Entgegenkommen, als ich verdient hatte.
    Mein Ärger verwandelte sich in Unsicherheit. Aron ließ mich wählen, um mich zu prüfen. Ich hatte versprochen, sein Urteil zu akzeptieren. Jetzt einen Rückzieher zu machen, bedeutete, ihn in Frage zu stellen. Der Seiltanz galt als Beweis für mein Vertrauen.
    »Hilfst du mir?«, fragte ich unsicher.
    »Nein. Heute musst du allein zurechtkommen.«
    Ich nickte. In seinen Augen war das machbar. Er glaubte an mich – nur ich leider nicht. Aber vielleicht musste ich gar nicht meinen Fähigkeiten, sondern nur Arons Urteilskraft vertrauen.
    Vorsichtig kletterte ich den Baum nach oben. Ich kannte jeden Zweig, jeden Ast, an dem ich Halt finden konnte. Trotzdem kostete mich jeder Meter, den ich dem Seil näher kam, riesige Überwindung.
    Schließlich stand ich oben. Zum ersten Mal allein. Das Band lag friedlich, vom Feuer erhellt, zwischen mir und dem Schloss. Ich folgte seiner Spur mit den Augen und fand Aron, der am anderen Ende auf mich wartete. Wie ich war er allein, doch ich wusste, dass nicht nur er mich beobachtete. Coelestin, Ekin, selbst Ernesta – den Kräuterengel – hatte ich, verborgen im Schatten, bei meinem Gang zum Burgwall entdeckt – nur Christopher fehlte.
    Mein Puls war ein einziger Trommelwirbel, meine Beine zittrig wie nie. Kurz bevor ich die Slackline betrat, tauchte der klaffende Abgrund vor mir auf. Ich wagte dennoch den ersten Schritt. Einen Abgrund gab es hier nicht.
    Mein Körper rebellierte, während mein Verstand ihn vorantrieb. Mir wurde schwindelig. Ich hielt den Atem an und zwang mich, Ruhe zu bewahren und mein Gleichgewicht wiederzufinden. Drei Schritte und noch ein paar weitere schaffte ich. Langsam näherte ich mich der tiefsten Stelle über dem Burggraben.
    Mein Blick fing das Schwarz des Wassers ein. Seine Dunkelheit erinnerte mich an die Tiefe des Abgrunds – und zog an mir.Auch ich besaß einen dunklen Teil, etwas Schwarzes, Böses. Etwas, das ich nie wieder loswerden würde.
    Meine Zuversicht geriet ins Wanken. Ich verlor mein Gleichgewicht. Das Dunkle war stärker. Es wollte mich. Egal, wie sehr ich mich auch dagegen wehrte, am Ende würde es gewinnen.
    Mein Sturz verlief schnell – der Aufprall war kalt und nass. Zwei Hände zerrten mich zurück an die Oberfläche. Aron. Maßlos enttäuscht. Ich schloss die Augen. Ich war nicht stark genug, um diesen Blick ertragen zu können.
    Als ich kurze Zeit später die Stiege ins Internat hochschlich, stand mein Entschluss fest: Weihnachten würde ich zu Hause verbringen. Meine Eltern wollte ich nicht auch noch enttäuschen.
    Mit dem Flugzeug oder Zug nach Italien zu fahren hatte wenig Sinn – spätestens in Berlin wäre ich aufgeflogen. Der Einzige, mit dem ich unbehelligt nach Italien kommen konnte, war Raffael. Er fuhr nach Venedig, zu Sanctifer, seinem Ziehvater, der ihm zum Geburtstag ein Auto geschenkt hatte. Der Ersatzschlüssel des Jaguars steckte noch in der Hosentasche der Jeans, die ich am Abend der Party anhatte.
    Im Kofferraum war es eng und muffig. Meine Bedenken, darin zu ersticken, beruhigte ich mit dem Argument, dass Engeln nicht so leicht die Luft ausging.
    Noch bevor wir die Autobahn erreichten, legte Raffael seinen ersten Zwischenstopp ein. Ich atmete erleichtert auf, da das Gehoppel, dank der vielen Schlaglöcher, die Fahrt ganz schön ungemütlich machte. Meine Glückssträhne hielt nicht lange an. Keine Minute später öffnete sich der Kofferraumdeckel, und zwei strahlend schwarze Augen lächelten mir entgegen.
    »Na? Hattest du es bequem und möchtest noch eine Weile hinten bleiben, oder ziehst du ein weiches Lederpolster dem rauen Filz vor?«
    Raffaels Hand schlug ich aus. Ich traute seiner plötzlichen Freundlichkeit nicht. Aus dem Kofferraum kletterte ich trotzdem – viele Alternativen gab es ja nicht.
    »Woher wusstest du, wo ich bin?«
    »Ich habe dich beobachtet.« Was bedeutete, dass Raffael mich ohne Probleme zu Sanctifer hätte bringen können: Ich Riesendepp! Es stellte sich nur die Frage, warum er das nicht getan hatte.
    »Und was hast du jetzt mit mir vor? Mich anzuzeigen, zurückzubringen oder mit nach Venedig zu nehmen?«
    Raffael zögerte, als würde er ernsthaft über meine Frage nachdenken. Doch ich war mir sicher, dass er, schon bevor er mich aus dem Kofferraum befreite, wusste, was er mit mir machen wollte.
    »Eigentlich keines von alledem.

Weitere Kostenlose Bücher