Tanz der Engel
das mächtige Kirchenschiff. Trotz des Dämmerlichts entdeckte ich Christopher sofort. Seine durchdringenden Augen bohrten sich tief in meine.
Ich wandte mich ab, presste meine feuchten Handflächen gegeneinander und schloss die Augen wie zum Gebet. Seinem mörderischen Blick standzuhalten und mich ihm zu widersetzen überstieg meine Möglichkeiten. Sein Tosender-Sturm-Duft erreichte mich. Wie die Gewitterfront eines Hurrikans umschlang sie meinen Körper, als er sich neben mich setzte. Trotzig hielt ich den Atem an.
»Eine Stunde, ohne Luft zu holen? Davon bist du noch weit entfernt«, flüsterte Christopher und blies mir seinen Atem ins Gesicht.
Das Schwindelgefühl stellte sich sofort ein. Halt suchend klammerte ich mich an die Kirchenbank.
»Ich werde nicht mitkommen – nicht freiwillig.«
»Davon gehe ich aus«, erwiderte er mit einem Funkeln in den Augen. »Ein Kuss und du liegst mir zu Füßen.«
»Wie erbärmlich für jemanden wie deinesgleichen.«
Die steile Stirnfalte erschien auf Christophers Gesicht. Ein Zeichen, dass ihm meine Antwort nicht gefiel.
»Du schließt dich aus?«
»Ja, weil ich nicht dazugehöre.«
»Das wird sich ändern – ob du es willst oder nicht!« Das Einsetzen des Chores, dessen Gesang erhaben durch das weihnachtlich geschmückte Kirchenschiff hallte, unterstrich Christophers Worte wie eine düstere Prophezeiung.
Ich rückte von ihm weg, bis Lucias Bein eine weitere Flucht verhinderte. Kurz glaubte ich, Furcht in ihren Augen zu sehen, doch es war wohl eher Verwunderung. Irritiert schaute sie von mir zu Christopher – und lächelte. Offenbar gab es niemanden, den er nicht um den Finger wickeln konnte.
Meine Chancen, ihm zu entkommen, standen schlecht. Selbst wenn Philippe jetzt neben mir und nicht im Chor sitzen würde. Christophers Engelscharme übertraf meinen bei weitem.
Trotz besseren Wissens sah ich wieder zu Christopher hinüber. Sein unerwartetes Lächeln brachte mein Herz zum Klopfen. Ich biss mir auf die Unterlippe, um seinem Prinz-Charming-Grinsen etwas entgegenzusetzen.
Christophers Gesichtsausdruck verwandelte sich. Offensichtlich genoss er seinen Triumph. Wie einfach er mich doch aus der Reserve locken konnte. Ein wenig Sommergewitter und ein Lächeln, und schon schmolz ich dahin. Meine Schwäche ärgerte mich. Es wurde Zeit, den selbstgefälligen Engel herauszufordern.
»Und du glaubst, du könntest mich überzeugen, indem du mich in deinen Duft einhüllst und mit deinem Atem betäubst? Fällt dir nichts Besseres ein, Racheengel?!«
Wie vorausgesehen reagierte Christopher auf meinen Angriff – allerdings völlig anders, als ich vermutet hatte.
»Ganz wie du willst. Ich warte draußen auf dich. Und viel Spaß mit dem Weihrauch – er reinigt die Seele«, raunte er mir zu, bevor er aufstand und erhaben – wie ein Engel eben – an den vollbesetzten Reihen entlangschritt. Dass ihm alle hinterherschauten, versuchte ich ebenso zu ignorieren wie den grausamen Gestank, der meine Nase erreichte. Dagegen kam selbst Ernestas Schlangentonikum nicht an.
Ich presste die Lippen zusammen und kämpfte gegen den Würgereiz. Sobald ich verlor, schluckte ich so lange, bis mein Frühstück wieder meinen Magen erreichte. Da die Intensität des Weihrauchs – dank des fleißigen Messdieners – nicht ab-, sondern zunahm, verlor ich den Kampf. Mit vor den Mund gepressten Händen stürmte ich durch die Kirche und übergab mich hinter dem erstbesten Strauch.
Starke Hände stützten mich, bändigten meine langen Haare und hielten mich fest. Erschöpft schloss ich die Augen und ließ mich fallen. Christophers Umarmung zu spüren, seine Nähe, die Zärtlichkeit, mit der er sich jetzt um mich kümmerte, ließ mich beinahe vergessen, was seit meiner Rückkehr ins Schloss der Engel geschehen war. Ich hungerte geradezu danach, bei ihm zu sein. Sehnte mich nach einem Kuss und einer Berührung meiner angegriffenen Seele.
»Ich bringe dich zurück«, flüsterte er mir ins Ohr. Doch anstatt mich einzulullen, weckte genau dieser Satz meinen erlahmten Selbsterhaltungstrieb.
»Nein!«
Meine Hände schlugen nach ihm. Seine eben noch sanfte Umarmung wurde zur Fessel.
»Lass sie los!« Philippes Stimme dröhnte zu uns herüber.
Christophers Griff um meine Taille wurde fester. Während er sich zu Philippe umdrehte, verschloss er mir mit der anderen Hand den Mund.
»Danke für deine Hilfe, aber ich komme allein zurecht. Wie du siehst, braucht sie nur ein paar starke Arme und jemanden,
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