Tanz der Engel
ein verschlossenes Eisengitter und forderte mich auf, hindurchzugehen. Die Engelsmagie auf der Schwelle war heftig. Dass ich noch fünf weitere Tore passieren musste, unerträglich. Das letzte zwang mich in die Knie. Mein Wachtrupp wartete angespannt, bis ich wieder auf die Beine kam. Sie trauten mir nicht. Für sie war ich ein Racheengel. Gefährlich und unberechenbar – obwohl ich im Augenblick eher erbärmlich wirkte.
»Am Ende des Tunnels findest du einen Gegenstand. Nimm ihn, beschütze deinen Protegé, bring beides in Sicherheit, und erhalte die Flamme am Leben. Viel Glück.«
Ich wusste nicht, ob ich dankbar sein sollte, Raffael und nicht Lisa retten zu müssen. Zumindest wusste ich bei Raffael, woran ich war. Ein Blick in den kleinen Handspiegel verriet mir, dass auch er zu kämpfen hatte. Der Geruch nach versengter Haut stieg mir in die Nase. Ich verdrängte den üblen Gedanken, er käme von Raffael, schob den Spiegel zurück in meine Jeans und tastete mich den sich tiefer in die Erde windenden Tunnel entlang.
Das fahle Licht des Engeltrupps verschwand. Die Luft wurde stickiger, abgestanden. Die Dunkelheit schien Hände zu bekommen. Ihre Finger drückten mir die Kehle zu. Vielleicht lages auch nur an dem eigenartigen Geruch, dass ich kaum noch Luft bekam. Warm. Feucht. Zimt, Süßholz, der Duft von grünen Äpfeln gemischt mit modrigen Ausdünstungen, Weihrauch und verbrannten Haaren. Mir wurde schlecht.
Die Intensität der ekelerregenden Gerüche nahm zu. Trotzdem lief ich weiter. Ich hatte eine Prüfung zu bestehen. Dass ich einmal darum kämpfen würde, Aron als Tutor behalten zu dürfen, wäre mir noch vor ein paar Monaten nicht einmal im Traum eingefallen.
Hundert bange Schritte später lichtete sich die Schwärze. Eine Fackel am Ende des Tunnels erwartete mich – und ein altbekannter Gegenstand, der mich erstarren ließ. In der halbrunden Nische, von flackerndem Feuerschein großartig inszeniert, ruhte auf einem schwarzen Samtkissen die mit Edelsteinen verzierte Waffe: Sanctifers Dolch. Der Dämonendolch, mit dem ich Aron beinahe getötet hätte. Der Rat wollte, dass ich mich ein zweites Mal bewies.
Meine Finger bebten, als sie das Heft des Dolchs berührten. Die Bösartigkeit der Waffe stach mir ins Herz – und berührte den anderen Teil in mir, den dunklen. Obwohl ich wusste, welche Gefühle die Waffe in mir heraufbeschwören konnte, nahm ich sie an mich. Zu zeigen, dass meine Engelsseele stärker war als der Schattenengel in mir, war Teil der Prüfung.
In dem Moment, als ich den Dolch in eine der Gürtelschlaufen meiner Jeans steckte, hörte ich ein leises Klicken, gefolgt von einem Rasseln. Es endete in einem lauten Knall, als das Fallgitter in meinem Rücken in eine Vertiefung einrastete.
Sie hatten mich eingesperrt. Für eine Sekunde schloss ich die Augen, um den Schreck zu verarbeiten. Zurück konnte ich nicht mehr, aber das war auch nie meine Absicht gewesen. Sanctifers Schüler wollte ich nicht werden. Niemals!
Ein unerwartet heftiges Kribbeln in der Hosentasche, wo ich den Spiegel aufbewahrte, ließ mich erschrocken auffahren. EinBlick auf Raffael bestätigte meine schlimmste Befürchtung: Der Feuerkreis um ihn rückte näher. Blaue Flammen leckten empor und züngelten in seine Richtung. Noch erreichten sie ihn nicht, doch die Zeit lief – für ihn und für mich.
Um die Fackel zu erreichen, schob ich das Samtkissen beiseite und kletterte auf den Sockel in der Nische. Der Drehmechanismus aktivierte sich, als ich den Schaft der Fackel aus ihrer Halterung zog. Angespannt wappnete ich mich für das, was mich auf der anderen Seite erwartete.
Dass es bloß drei Türen waren, beruhigte mich nicht. Ich musste wählen, welche die richtige war. Die Stärke eines Racheengels lag darin, den Unterschied zwischen Gut und Böse zu erkennen. Meine Fähigkeiten schienen jedoch nicht unbedingt der Norm zu entsprechen. In meinen Augen war Christopher der Gute und Sanctifer böse.
Vorsichtig legte ich mein Ohr an das dunkelbraune Türblatt. Leise Geräusche, ein Knistern, aber nichts Bedrohliches. Hinter der nächsten Tür hörte ich ein flüsterndes Pfeifen, als ob Wind durch einen Spalt hindurchglitt. Die letzte Tür verriet nichts außer Totenstille – ein wenig zu viel Stille für meinen Geschmack.
Ich schluckte. Weder Gutes noch Böses konnte ich wahrnehmen. Wie sollte ich da eine Entscheidung treffen?
Der Spiegel in meiner Hosentasche zuckte. Es war Zeit zu wählen. Instinktiv nahm ich
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