Tanz der Engel
zwischen den Rippen.
Während ich dennoch mürrisch vor mich hin kaute, schaute ich mich in meinem Zimmer um. Ich saß in meinem riesigen Fast-Himmelbett, das unter einem der beiden Dachfenster stand. Das weiße Regal und der Schreibtisch waren so, wie ich sie verlassen hatte – nur aufgeräumter. Daran, dass die vielen, mit Spitzen besetzten Kissen auf meinem Bett fehlten und stattdessen die blaukarierte Patchworkdecke ihren Platz eingenommen hatte, merkte ich, dass ich nicht auf dem Internat, sondern im Schloss der Engel war. Zudem stand ein blauer Sessel neben dem Bücherregal, den es bei meinem letzten Besuch noch nicht gegeben hatte.
»Du hast mich also doch noch durchgelassen?«, fragte ich zwischen zwei Schlucken Kaffee.
»Nachdem du mich außer Gefecht gesetzt hattest, blieb mir ja nichts anderes übrig.«
Ich schaute zu Aron hinüber, der es sich auf dem blau bezogenen Sessel bequem gemacht hatte. »Dann habe ich das also nicht nur geträumt?«
»Nein«, war alles, was Aron erwiderte.
»Und … und das … mit Christopher?« Es fiel mir schwer, das flaue Gefühl aus meiner Stimme rauszuhalten, das erschien, sobald ich an Christophers funkelndes Schwert und seinen Angriff dachte.
»Das auch nicht.«
Ich schob mein Frühstück beiseite. Mein Hunger hatte sich schlagartig verflüchtigt. »Ist er … sauer auf mich?«
»Sauer?! So würde ich das nicht unbedingt nennen«, antwortete Aron. »Am besten, du fragst ihn selbst.«
Noch bevor ich widersprechen konnte, verschwand Aron zur Tür hinaus. Ein leises Klicken verriet, dass er mich einschloss. Das Geräusch verursachte mir Gänsehaut. Vom Nackenaus kroch sie mir den Rücken hinab – ich war also nicht als Gast hier.
Vorsichtig drapierte ich die Decke über meine rechte Hand und versteckte auch die Linke unter dem Überzug. Christopher sollte nicht sehen, dass meine Hände zitterten. Es genügte, wenn mein Gesicht offenbarte, wie sehr ich mich vor dem Wiedersehen mit ihm fürchtete. Nicht vor den Konsequenzen, Aron niedergestochen und ihn mit dem Dolch bedroht zu haben – die würde ich auf mich nehmen –, vielmehr hatte ich Angst zu erfahren, weshalb er mich mit diesem eisigen Blick betrachtet hatte.
Christopher kam nicht allein. Aron begleitete ihn. Während Christopher in der Nähe der Tür stehen blieb, setzte sich Aron in den blauen Sessel. Es sah beinahe so aus, als spiele er den Schiedsrichter.
Unsicher schaute ich von Aron zu Christopher. Die Verachtung war aus seinem Blick verschwunden, die Missbilligung geblieben. Ich vergrub meine gesunde Hand in der Matratze, um Halt zu finden. Am liebsten hätte ich auch meinen Kopf darin versteckt.
War er enttäuscht, weil ich Aron angegriffen hatte? Darüber hätte er entsetzt sein müssen – so wie ich. Aber was war es sonst? Dass ich nicht geduldig genug war zu warten, bis er sich bei mir meldete? Dann hatte er mich wirklich überschätzt. Aber vielleicht war er auch wütend, weil ich den Dolch auf ihn gerichtet hatte – Sanctifers Dolch.
Da Christopher mir nicht entgegenkam, machte ich den ersten Schritt.
»Geht … Geht es dir gut?«
»Ja. Und dir?«
Angestrengt betrachtete ich die blaukarierte Decke. »Ich … ich weiß nicht.«
»Hat Aron sich nicht um dich gekümmert?«
»Doch, das hat er, aber …« Ich brach ab und sah zu Aron hinüber. Wollte er wirklich hierbleiben, während ich Christopher mein Herz ausschüttete?
Aron rührte sich nicht. Mit locker verschränkten Armen blieb er sitzen, doch seine Körperspannung verriet, dass er seine Gelassenheit nur vortäuschte.
»Aber?«, erinnerte mich Christopher daran, weiterzusprechen.
»Und ich kann auch wieder problemlos kauen«, lenkte ich von meiner eigentlichen Antwort ab.
In Christophers Augen blitzte eisiges Grün, als ich ihn unbeabsichtigt an den Treffer in mein Gesicht erinnerte, doch er erwiderte nichts. Keine Entschuldigung, kein Mitleid, kein Bedauern, mich niedergeschlagen zu haben. Seine Kälte ließ mich erschaudern. Diese Seite kannte ich noch nicht an ihm. Und irgendetwas in mir weigerte sich zu glauben, dass sie zu ihm gehörte.
»Wo … wo bist du gewesen?«, fragte ich mit erstickter Stimme, als ich sein Schweigen nicht mehr aushielt.
»Ich war beschäftigt.«
Beschäftigt?! War das alles, was er nach zehn Wochen zu sagen hatte?
»Und womit? Oder sollte ich besser fragen – mit wem?« Mein Ärger half mir, meine Stimme wiederzufinden.
Aron bewegte sich leicht nach vorn. Ich ignorierte seine Bereitschaft,
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