Tanz der Engel
Entscheidungen selbst. Ihn zu beeinflussen ist äußerst schwierig – wie du weißt. Ihm etwas aufzuzwingen praktisch unmöglich.«
»Aber bei mir kannst du dir das gut vorstellen«, entgegnete ich bissig.
Aron antwortete nicht. Der selbstgefällige Ausdruck auf seinem Gesicht war eindeutig. Klar, er war ein Engel und mir haushoch überlegen. Aber deshalb musste er mich noch lange nicht so verächtlich ansehen.
»Du solltest jetzt gehen«, drängte er. Es war keine Bitte, sondern ein Befehl.
»Erst wenn ich mit Christopher gesprochen habe.«
»Wenn er sich mit dir unterhalten wollte, würde er jetzt hier stehen – und nicht ich .«
»Wenn er wüsste, was ich für ihn habe, würde er das«, antwortete ich selbstbewusst.
Aron blieb unbewegt, doch das neugierige Aufblitzen in seinen Augen verriet, dass er nicht wusste, wovon ich sprach.
»Gib es mir. Ich werde es an ihn weiterleiten«, entgegnete er, bemüht, gelangweilt zu klingen.
Mein gekünsteltes Lachen hörte sich selbst in meinen Ohren falsch an. »Es ist ein Erbstück. Ich gebe es nur Christopher!«
Auch wenn Aron mir bei meiner Flucht aus dem Totenreich geholfen hatte, war ich mir sicher, dass er mit der Totenwächterin in inniger Verbindung stand. Da Christopher ihn gebeten hatte, mich aus dem Tunnel zu bringen, war ihm wohl nichts anderes übriggeblieben, als mir den Weg zu zeigen – andernfalls hätte er Christophers Vertrauen verloren. Bei mir hatte er das schon längst.
Arons Blick huschte suchend über meinen Körper. Er blieb an der Stelle hängen, wo der Dolch befestigt war, der Schlüssel, der mir den Zugang zum Schloss der Engel ermöglichen sollte. Wenn Aron es darauf anlegen würde, ihn sich zu holen, hätte ich keine Chance. Er war durchtrainiert und kampfbereit wie ein Bodyguard im Schutzmodus – und sein überhebliches Grinsen verriet, wie gut er das wusste. Gebieterisch streckte er die Hand aus. Er verstand es nicht nur, mich mit Worten zu reizen.
»Du kannst es mir geben.«
»Jedem anderen«, zischte ich.
»Wie schade, dass du mir so wenig Vertrauen entgegenbringst – und das, wo ich mich doch so aufopferungsvoll um dich kümmere.«
Mein Magen zog sich vor Übelkeit zusammen, als ich das ganze Ausmaß seiner Andeutung verstand.
»Du?!«
»Überrascht?«
»Das … das glaube ich nicht.«
»Wie schade. Nur wenige Menschen haben das Vergnügen, ihren Schutzengel kennenzulernen.«
Ein Albtraum: Aron war mein Schutzengel. Entsetzt wich ich vor ihm zurück. Die Bilder von meinem traumatischen Drachenflug tauchten wieder auf: mein Entschluss, den Start abzubrechen, der durch eine kleine Handbewegung ins Wanken geriet – und durch einen falschen Befehl zum Absturz führte.
»Du … du hast mir gesagt, dass ich den Steuerbügel zu mir ziehen soll?!« Meine Stimme überschlug sich. »Warum?!«
»Du hast versucht, einen Engel herauszufordern.«
»Und deshalb hast du mich abstürzen lassen?«
»Falls du dich nicht mehr daran erinnern solltest: Du bist nicht abgestürzt.«
Nein. Das war ich nicht – nicht ganz. Fieberhaft versuchte ich den Grund für Arons Ablehnung herauszufinden. Dass er meine Liebe zu Christopher missbilligte, war klar. Und natürlich konnte er es auch nicht dulden, dass ich einen Engel herausforderte. Deshalb hatte er dafür gesorgt, dass der Drachen gegen die Felswand prallte – und in den Bäumen hängenblieb.
»Warum hast du mich verschont?«
»Es war noch zu früh für dich, um zu sterben. Und ich werde auch in Zukunft mein Bestes geben, damit du lebendig bleibst.«
»Und warum dann?«
»Fordere niemals jemanden zu einem Spiel heraus, dessenRegeln du nicht kennst.« Arons Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, während er einen Schritt auf mich zu machte. Er wollte den Dolch, doch ich würde ihm die Waffe nicht freiwillig geben.
Ängstlich wich ich zurück. Er würde alles tun, um mich von Christopher fernzuhalten. Unsere Liebe war zum Scheitern verurteilt, solange Aron mein Schutzengel war. Auch deshalb musste ich unbedingt mit Christopher reden!
»Ich habe dir gesagt, dass du nicht nach ihm suchen sollst. Du nimmst meine Warnungen offenbar nicht ernst. Aber ich weiß, dass du deinen Sprung in die Tiefe noch gut genug in Erinnerung hast, um nicht ein zweites Mal denselben Fehler zu machen und einen Engel herauszufordern.«
Vor meinen Augen tanzte der Abgrund. Die Angst war wieder greifbar. Auflodernder Zorn vermischte sich mit ihr zu einer gefährlichen Mixtur. Aron drängte mich zu den
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