Tanz der Engel
Aron zweideutig.
Als Paul das Zimmer verlassen hatte, hakte ich nach. »Was muss ich tun, damit du mich gehen lässt?«
»Gefällt es dir hier etwa nicht?«
»Es würde mir besser gefallen, wenn Christopher bei mir wäre und nicht du !«
»Damit wirst du wohl noch eine Weile leben müssen.«
Wie lange das sein würde, verriet Aron nicht – und genau das bereitete mir Kopfzerbrechen. Wenn meine Seele zu lange hierblieb, ohne an einen Engel gebunden zu sein, würde sie für immer sterben – und der Rest von mir gleich mit.
Arons unausgesprochene Drohung, mich in der Engelswelt festzuhalten, löste bei mir eine quälende Albtraumserie aus – in der Hauptrolle meine schlimmsten Erinnerungen. Gleich mehrmals durchlebte ich, wie die Totenwächterin sich in meine Träume schlich, mich mit ihrem Bann belegte und eisige Kälte meine Seele zum Erstarren brachte.
Mein Körper bebte, als ich mit panisch hämmerndem Herzen hochschreckte. War die Kälte, die ich in mir spürte, nur eine Auswirkung des Traums oder bereits eine erste Reaktion meiner Seele? Meine Angst vor dem endgültigen Tod stieg sprunghaft an.
Was verlangte Aron als Gegenleistung, damit ich gehen durfte? Dass ich Christopher vergaß? Niemals! Ich brauchte ihn, musste sehen, woran ich ständig dachte. Das war mir in den zehn Wochen, die ich ohne ihn auskommen musste, klar geworden. Wenn Christopher bei mir war, fühlte ich mich glücklich und geborgen, irgendwie vollständig. Er war für mich wie Sonnenstrahlen, die mich wärmten und am Leben hielten.
»Du bist schon wach?«, fragte Christopher überrascht, als er eine Stunde später mein Zimmer betrat – allein! »Lass sehen!« Geschickt befreite er meine Hand von dem weißen Verband.
Die offene Wunde, die am Tag zuvor noch einen Teil der Innenfläche verunstaltet hatte, war verschwunden – meine Hand vollkommen wiederhergestellt. Vorsichtig bewegte ich meine Finger. Auch der Schmerz war weg.
»Und? Geht es dir besser?«
»Ja. Und ich bin auch nicht mehr so müde.« Dass ich kaum geschlafen und vom Sterben meiner Seele geträumt hatte, verschwieg ich ihm. Die Zeit ohne Aron wollte ich nicht mit Reden vergeuden.
Doch Christopher schien anderer Meinung zu sein. Er kümmerte sich ums Frühstück anstatt um mich, bis Aron ihn ablöste. Auch Aron untersuchte als Erstes meine Hand.
»Ab heute kannst du sowohl auf den Verband als auch auf die Sonderbehandlung verzichten.«
»Heißt das, ich darf mein Zimmer verlassen?«
»Wir wollen es nicht gleich übertreiben. Mit Dämonenstaub ist nicht zu spaßen!«
»Sitzt du deshalb den ganzen Tag bei mir und ruhst dich aus?«
»Das hat andere Gründe.« Mehr verriet Aron nicht.
Immerhin erlaubte er mir aufzustehen, um etwas zum Lesen auszusuchen. Meine Wahl fiel auf eines der dicken, in Leder gebundenen Bücher, die er mitgebracht hatte, um sich beim Wachehalten die Zeit zu vertreiben. Schutzengel und ihre Möglichkeiten lautete der Titel – vielleicht stand auch etwas über ihre Schwächen darin.
Auf dem kurzen Weg vom Regal zurück zum Bett begann sich die Welt um mich zu drehen. Krampfhaft suchte ich Halt. Aron fing mich auf.
»Vielleicht solltest du heute doch besser noch ein wenig liegen bleiben und dich ausruhen«, empfahl er mir, während er mich vorsichtig ins Bett beförderte. Arons Sanftmut überraschte mich: kein Vorwurf, kein blöder Spruch und auch keineZurechtweisung. Sie kam, als er das Buch in meiner Hand entdeckte. » Das wäre sowieso nichts für dich«, sagte er und zog es mir aus den Fingern. »Zu viel Wissen kann schädlich sein.«
Auch am nächsten Tag weckten mich meine Albträume von der Totenwächterin, der Kälte und meiner sterbenden Seele viel zu früh. Sie würden wiederkommen, wenn ich weiterschlief. Also schlug ich die Decke zurück, kletterte vorsichtig aus dem Bett – damit mir nicht wieder schwindelig wurde – und tapste zum Regal hinüber.
Arons Buch war weg – und nicht nur das eine. Alle, die mir etwas über Engel hätten verraten können, hatte Aron aussortiert, während ich schlief.
Noch bevor sie da war, konnte ich sie spüren: Wut, die nach Verstärkung suchte – und fand. Bei Aron. Schon der Gedanke an ihn reichte. Erst als alle Bücher, die er mir gelassen hatte, über mein Zimmer verstreut auf dem Boden lagen, beruhigte ich mich wieder.
Aron wirkte nicht sonderlich erstaunt über meinen Wutausbruch – anscheinend hatte er mit einer Reaktion auf seine Bücherselektion gerechnet. Meine Überraschung
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