Tanz der Engel
kuschelte mich in seine Arme und versenkte meine Hände in seinen blonden Locken, um ihn zu mir zu ziehen. Doch anstatt meine Umarmung zu erwidern, hielt Christopher mich nur kurz fest, hauchte mir einen flüchtigen Kuss – auf die Stirn! – und drängte zum Aufbruch. Als er mir auf der Treppe seine Hand anbot – natürlich erst, nachdem ich beinahe gestolpert wäre –, war ich es, die zurückzuckte.
»Lynn, was ist los?«
»Warum hast du …«, ich brach ab. Christopher stand an derselben Stelle, an der er mich zum ersten Mal angesprochen hatte – und es hatte dieselbe Wirkung: Meine Knie wurden weich, mein Herz begann zu rasen – nur dieses Mal fühlte ich mich nicht verzaubert, sondern völlig verloren.
Würde Christopher mir helfen? Würde er sich gegen Aron stellen und gegen das Gesetz der Engel? Dass ich hier gefangen gehalten wurde, damit meine Seele ihr endgültiges Ende fand, schien mir die plausibelste Erklärung für meine Situation. Es würde den Fehler ausgleichen, dass ich dem Totenreich ungeprüft entkommen war und nicht als lügende Gefahr die Weltordnung der Engel durcheinanderbringen konnte.
»Warum hast du meine Verletzungen behandelt, wenn Aron mich sowieso nicht wieder gehen lässt?« Meine Stimme klang selbstbewusster, als ich mich fühlte.
»Wäre es dir lieber gewesen zu warten, bis sie von selbst verheilen?«Christopher wich meiner Frage aus. Dass er sie verstanden hatte, verriet mir die steile Falte auf seiner Stirn.
Leise Wut kroch in mir hoch, doch sie beruhigte sich, als ich in Christophers Augen sah. Dunkles Smaragdgrün schimmerte voller Sorge.
»Seit wann bin ich hier? Seit einer Woche? Seit zwei? Oder länger? Ich glaube, du hast mir oft genug erklärt, was mit meiner Seele passiert, wenn ich zu lange bleibe. Und wie’s aussieht, will mich dein Freund so schnell nicht wieder gehen lassen. Was letztendlich bedeutet, dass ich bald nirgendwo mehr hingehe. Nicht wahr?«
»Das glaubst du doch wohl selbst nicht!« Christopher ging auf Angriffskurs – was ich an seiner Stelle auch getan hätte, um meiner Frage auszuweichen.
»Und wenn doch?«
»Dann solltest du keine Zeit verlieren und Aron selbst danach fragen.« Christopher drängte zum Schloss hinaus. Enttäuscht lief ich neben ihm her. Er hüllte sich in Schweigen – auch seine Miene verriet absolut nichts.
Anstatt zum Gelben Haus brachte Christopher mich zu der Trainingswiese hinter dem Schloss, wo er mir befahl, auf einer der Steinbänke Platz zu nehmen. Sein abweisendes Verhalten schmerzte. Widerstandslos fügte ich mich. Christopher war meine einzige Hoffnung. Ohne ihn würde ich nicht überleben – doch er ließ mich allein.
Während ich ihm hinterherschaute, wie er außerhalb der Reichweite der Bogenschützen zu Aron hinüberlief, blieb mein Blick an Sebastian hängen, dem großen, rotblonden Hünen. Er war nicht der Einzige, der verstohlen zu mir herübersah und danach seine Scheibe verfehlte.
Hatte er Angst? Vor mir? Weil ich Aron angegriffen hatte?
Voller Schuldgefühle zog ich meine Beine an und verbarg mein Gesicht hinter den Knien. Meine Augen brannten, dochmir fehlte die Kraft zum Weinen. Vielleicht würde das mit dem Seele-Erkalten diesmal schneller gehen – und hoffentlich wäre es weniger schmerzhaft.
Aron kam ohne Christopher zurück. Inzwischen zitterte ich erbärmlich.
»Du siehst aus, als bräuchtest du ein heißes Bad. Frierst du tatsächlich oder spekulierst du auf Mitleid?«
»Du kannst dir die Spielchen sparen, Aron.«
»Spielchen?«, wiederholte er. In seinen Augen stand ein unausgesprochener Vorwurf. »Du meinst, dass ich mit ansehe, wie du langsam vor die Hunde gehst?«
»Genau. Beeindruckend, wie du es schaffst, mein Problem so exakt auf den Punkt zu bringen.« Meine Selbstbeherrschung verabschiedete sich gerade.
»Glaubst du wirklich, ich könnte in aller Ruhe zusehen, wie deine Seele erlischt?« Arons Augen blitzten. Ärger spiegelte sich in seinen Zügen, der sich auf mich übertrug.
»Ja!«, zischte ich. »Schließlich müsstest du dann nicht länger mein Babysitter sein und nicht mehr befürchten, dass Christopher lieber in meiner Welt den Lover spielt, als hier den Racheengel.«
Aron schlug nicht zurück. Er wusste, dass er gewonnen hatte. Doch statt mich wieder in meinem Zimmer einzuschließen und abzuwarten, brachte er mich zu Coelestin.
»Offenbar passt mein Timing heute ganz ausgezeichnet. Du scheinst mir in der richtigen Stimmung für eine Offenbarung zu sein. Da du
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