Tanz der Engel
zusammengerollt in seinem blauen Sessel.
»Du solltest etwas essen.« Er klang beunruhigt, besorgt, jedoch nicht ängstlich, was mich irgendwie tröstete. Wenigstens er fürchtete sich nicht vor mir – ich allerdings schon.
Im Tunnel hatte ich die Kontrolle verloren. Was, wenn mir das noch einmal passierte? Wenn ich nach dem Messer greifen und ihn niederstechen würde? Arons Vertrauen in mich war größer als mein eigenes. An seiner Stelle hätte ich nur etwas Weiches zum Löffeln mitgebracht, etwas, das ohne scharfe Klinge gegessen werden konnte.
»Außerdem glaube ich nicht, dass ein einzelner Geistdämon gefährlich werden kann – und schon gar kein kleines, zerbrechliches Mädchen.«
»Ich bin nicht zerbrechlich!«, fauchte ich ihn an. Aron hatte es doch tatsächlich geschafft, mich aus der Reserve zu locken. Aber vielleicht antwortete auch nur der Teil in mir, den seine Anspielung traf.
»Im Augenblick schon. Du verbarrikadierst dich in deinem Zimmer, isst nichts und betrauerst dein Schicksal.«
»Das tue ich nicht!«, zischte ich und setzte mich auf, damit er nicht so sehr auf mich herabschauen konnte.
»Und wie bitte soll ich dein Verhalten sonst interpretieren?«
»Ich … ich denke nach.«
»Ach ja?!«
Arons spöttischer Ton forderte mich heraus. »Es kann dir jetzt ja wohl egal sein, was ich mache. Dein Job als Schutzengel scheint sich erübrigt zu haben.«
»Was nicht heißt, dass man nicht auf dich aufpassen muss.«
Ich schluckte. Also war Aron so etwas wie mein Gefängniswärter. Im Gegensatz zu Christopher verband ihn nichts mit mir, das ihn davon abhalten würde, mich aufzuhalten – und zu töten.
Aron schenkte mir rotgelben Saft in ein Glas und hielt es mir vor die Nase. »Wenn du schon nicht essen willst, dann trink wenigstens etwas.«
»Bloß, wenn du Gift reingemischt hast!«
Meine Antwort brachte Aron ins Grübeln. Nachdenklich musterteer mich, während seine schwarzen Augenbrauen sich beinahe berührten, bevor die linke zweifelnd nach oben wanderte. Offenbar schien ihm das, was ihm gerade durch den Kopf ging, selbst nicht zu gefallen.
»Du willst es beschleunigen? Das kannst du haben!« Entschlossen stellte er das Saftglas beiseite, packte mein Handgelenk und riss mich aus dem Sessel. »Aber beschwer dich nicht, wenn dabei etwas anderes herauskommt, als du erwartest.«
Arons Griff war eisern. Selbst wenn ich in besserer Verfassung gewesen wäre, hätte ich es nicht geschafft, mich ihm zu entziehen. Er schleppte mich aus meinem Zimmer, die Hälfte der Treppe hinunter, blieb vor einer der hohen, buntverglasten Fenstertüren stehen, öffnete sie und schob mich auf den Balkon, der über der Eingangstreppe lag.
»Steig auf die Brüstung und spring!«, befahl er mir.
Ich zuckte zurück. »Was soll ich? Ich dachte, ich bin schon tot?«
»Vielleicht. Und wenn nicht, wirst du dir allerhöchstens ein paar Knochen brechen. Zum Sterben ist es nicht tief genug. Aber um Flügel zu bekommen, vielleicht schon. Wenn du wissen willst, was du wirklich bist, dann spring!«
Ein Blick über die Brüstung genügte. Eiskalter Schweiß legte sich auf meinen Nacken, als die Bilder von der schroff abfallenden Bergkante das wahre Bild verdrängten. Panisch taumelte ich zurück. Das konnte ich nicht – niemals!
Ich schloss die Augen und versuchte, meine Angst und mein Zittern unter Kontrolle zu bekommen. Doch ich hatte heute schon zu viel Kraft verloren. Hilflos verbarg ich mein Gesicht, damit niemand meine Verzweiflung sehen konnte.
Arons Hände legten sich auf meine Schultern und zogen mich an sich. Ich ließ es zu und lehnte meinen Kopf gegen seine Brust. Es war egal, dass es nur Aron war.
Dann setzte mein Verstand wieder ein. Aron wusste, dass ichkneifen würde. Dass mich der Blick über die Brüstung an meinen Absturz erinnerte, an die Tiefe – und an die Angst. Er hatte mit ihr gerechnet, um mir zu zeigen, wie jämmerlich ich war. Ich, der Geistdämon!
Dieses Mal erlaubte ich der Wut, zu wachsen. Was auch immer ich war, manipulieren ließ ich mich nicht. Mit aller Kraft stieß ich Aron von mir.
»Mach das nicht noch einmal!«, knurrte ich, um ihn auf Abstand zu halten.
Aron wappnete sich. Er war bereit, mich jederzeit wieder unter Kontrolle zu bringen. Seine Sturheit stärkte mich – und trieb mich weiter.
»Ich habe dich schon einmal in die Knie gezwungen, und ich fürchte mich nicht davor, das wieder zu tun. Nur weil du ein Engel bist und glaubst, etwas Besseres zu sein, gibt dir das
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