Tanz der Engel
meiner Seite ging das natürlich nicht so leicht.
»Ist es das, was du sehen möchtest? Wie ich zusammenklappe?«
»Lynn, das kann niemals mein Ziel sein!«
»Was dann? Dass ich ausraste, alles niedermetzle und so zu einem besseren Engel werde? Wird ein Racheengel nicht aus seiner Wut geboren?«
»Dann würde ich dich in ein Loch sperren und dich jeden Tag über die Kante treiben, anstatt auf einer Engelschule mit dir zu arbeiten.«
Ich zwang meine Beine weiterzugehen. Arons Beschreibung klang nicht aus der Luft gegriffen – und von Christopher wusste ich, dass er vor seinem Tutor ins Schloss der Engel geflohen war. Warum genau, hatte er nur angedeutet.
»War das bei Christopher so?«
»Ja«, bestätigte Aron meine schlimmste Befürchtung. »Er musste viel ertragen. Auch wenn er es niemals zugeben würde, leidet Christopher heute noch unter den Folgen seiner besonderen Erziehung . Coelestin brauchte viel Geduld, damit Christopher zu dem Engel werden konnte, der er heute ist.«
»Sind die Narben auf Coelestins Gesicht von ihm?«
»Ja. Und es sind nicht die Einzigen.«
Meine Beine gerieten erneut aus dem Takt. Ich wäre gestolpert, wenn Aron mich nicht aufgefangen hätte. Anstatt mich anzumeckern, legte er eine Pause am See ein.
»Sanctifer hat Christopher in seine dämonische Gestalt gezwungen. Viel zu oft und viel zu lange. Er hat ihm nicht beigebracht, wie er sich daraus befreien kann. Es war ein schmerzvoller Weg für Christopher, das herauszufinden. Deshalb hilft er dir und drängt deine Schattenseite zurück. Allerdings wirst du so nie lernen, sie selbst zu besiegen.«
»Und wenn ich es nicht ohne ihn schaffe?«
»Das wirst du. Bislang schlägst du dich prima.«
»Ja, weil Christopher mir hilft.«
»Oder weil deine Dämonengene schwächer sind als dein Engelserbe. Vertrau deinen Fähigkeiten, sieh in dich hinein und erkenne, was du bist. Erst wenn du dir deiner selbst sicher bist, kannst du Stärke aus dir ziehen und bleibst nicht auf die Hilfe eines anderen angewiesen.«
Meine von Aron so angepriesene innere Stärke schien sich beim Bogentraining in Luft aufgelöst zu haben. Christopher mit seinen Schülern – und Schülerinnen – zu sehen war etwas, das ich kaum ertragen konnte. Nicht nur zu beobachten, wie Susans Blick an seinen Lippen klebte, während Christopher über ihre Schulter gebeugt etwas erklärte, versetzte mir einen brennenden Stich. Auch die Reaktion der anderen, als ich an Arons Seite die Übungswiese betrat, schmerzte. Die ängstlichen Blicke waren die harmlosesten, die angewiderten einfach nur grausam, Christophers versteinerndes Gesicht unerträglich.
Aron umklammerte meine Schulter, damit ich nicht davonlaufen konnte. »Wenn sie sich erst daran gewöhnt haben, warum du hier bist, wird es einfacher. Gib ihnen die Chance, dichnoch mal kennenzulernen, und sie werden sehen, wie wenig du dich verändert hast.«
»Aron, vielleicht bin ich so blöd, dir das abzukaufen, aber die da drüben überzeugst du damit nicht«, antwortete ich und deutete mit einem Kopfnicken Richtung Engelschüler.
»Genau, denn das ist deine Aufgabe«, sagte er nur und schob mich weiter auf Christopher zu. »Hast du noch einen Bogen für Lynn?«
Selbst Christopher zuckte zusammen. Im Gegensatz zu den anderen wich er nicht zurück, sondern blieb breitbeinig stehen – als stelle er sich schützend vor seine Schüler.
»Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist, Aron?«
»Weißt du, immer nur zusehen wird auf Dauer langweilig und führt zu Aggressionen – und die wollen wir doch nicht heraufbeschwören. Aber wenn du keinen mehr übrig hast, gehe ich im Schloss schnell einen holen.«
Christopher gab nach. »In der Kiste findest du etwas Passendes.« Seine Schüler allein gegen mich verteidigen zu müssen, gefiel ihm offenbar noch weniger.
Um Christophers finsterer Miene zu entkommen, folgte ich Aron, der zu den beiden Holztruhen am Rand der Wiese eilte. Als er mir einen schulterhohen Langbogen reichte, weigerte ich mich, ihn zu nehmen.
»Mit meinen Händen kann ich sowieso nicht richtig zielen.«
»Warum? Tun sie noch weh?« Aron klang ehrlich besorgt und griff nach meinen Handgelenken.
Ich kam ihm zuvor und verbarg sie hinter meinem Rücken. »Nein, aber …«
»Dann: kein Aber! Vom Nichtstun werden sie kaum geschmeidiger – und wie gesagt, die Schonzeit ist vorbei.«
Obwohl ich mich ehrlich bemühte, stellte ich mich an wie der letzte Depp. Entweder rutschte mir der Pfeil von der Sehne,
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