Tanz der Engel
langsam in meinen Verstand. Doch schließlich kehrte Frieden in mir ein. Ich war nicht perfekt. Niemand war das – auch kein Engel. Vielleicht würde aus mir doch noch ein halbwegs passabler Racheengel werden.
Aron würde bald nach mir suchen. In der Kapelle zu warten schien mir das Beste zu sein. Hinter dem Altar fand ich Streichhölzer, mit denen ich die Kerzen anzündete.
Ein Hauch von Gewittersturm erfüllte die Kapelle, kurz bevor die Tür aufschwang. Meine Gedanken überschlugen sich. Christopher? Hier? War er aus seinem Gefängnis entkommen? Und wenn, in welcher Gestalt? Panik überfiel mich. Die Barriere würde ihn verbrennen!
Noch ehe ich reagieren und das Schlimmste verhindern konnte, sah ich ihn. Meine Beine wollten mein Gewicht nicht länger tragen. Ich zwang sie dazu. Christopher, blass, ausgezehrt, aber in seiner menschlichen Gestalt, stand vor der kleinen Kapelle – so nah und doch unendlich weit entfernt. In seinenAugen mischte sich vergangener mit neuem Schmerz. Aus seinem Schattenwesen zurückzufinden hatte ihn viel gekostet. Doch der neue Schmerz galt mir.
Mit einer Klarheit, die ich bislang nicht besessen hatte, las ich in ihm. Er, der große, starke Engel, fühlte Angst: Angst, mich verloren zu haben, da ich ihn in seiner archaischen Gestalt gesehen hatte, aber auch, weil ich versucht hatte, sein Wesen zu erreichen, und dabei nicht seine Engelsseele, sondern nur das Monster gefunden hatte.
Und es gab noch mehr. Christopher war stocksauer . Ich hatte mich nicht an seine Bitte gehalten, hatte die Regeln gebrochen, einen Engel gekidnappt und war zu ihm ins Verlies vorgedrungen. Dass meine Liebe nicht stark genug war, um ihn aus seinem Schattendasein zu befreien, sprach sicher auch nicht für mich.
So deutlich wie nie erkannte ich, wie die Wut sein dämonisches Erbe aufwiegelte. Der Sieg des Schattenengels über Christophers Seele stärkte diese dunkle Seite, und ich wusste nicht, ob er gleich hereinstürmen würde, um mich in die Arme zu schließen oder um mich zu erwürgen. Verwirrt wich ich zurück, bis die harte Steinwand mich aufhielt.
Christophers Augen flackerten hell, während er mich beobachtete. Jetzt erfüllte ihn nicht nur Wut, sondern auch Enttäuschung, wie seine malmenden Kiefermuskeln deutlich bewiesen. Christophers Blick wanderte weiter und fand den Dämonendolch inmitten der geköpften Rosen. Alles an ihm erstarrte.
Mein Verstand riet mir abzuwarten, mein Körper schaltete auf Flucht, beschleunigte meinen Herzschlag und meine Atmung. Christopher reagierte sofort, verwandelte sich zum Engel und durchbrach die Barriere.
Ein leiser Angstschrei entschlüpfte meinen Lippen. Nicht wegen der prächtigen Gestalt mit den unglaublich faszinierendenFlügeln, in denen wütende Blitze zuckten, sondern wegen dem, was ich noch wahrnehmen konnte: den Schattenengel. Kaum fassbar und dennoch präsent umschlang die dämonenhafte Kreatur, die ich im Verlies gesehen hatte, Christophers Engelswesen.
Mir schauderte. Mein Körper drängte sich gegen die Wand, obwohl ich Christopher doch um den Hals fallen wollte.
»Du kannst es endlich fühlen. Nicht wahr?«
Ich wusste, was Christopher meinte, und nickte. »Aber ich …«, fürchte mich nicht , wollte ich sagen, doch Christopher kam mir zuvor.
»Und ob. Ich spüre deine Angst mit jedem Atemzug, den du tust. Aron wusste, dass das passieren würde. Deshalb überzeugte er mich – und dich – davon, dass ich das Schloss verlassen muss.«
Christopher sprach nicht nur von der Vergangenheit. Er würde mich verlassen, wenn ich jetzt nicht den Mut fand, ihn zurückzuhalten. Doch ich zögerte. Wie so oft überkamen mich Zweifel. Niemals würde ich der sanftmütige Engel sein, in den er sich verliebt hatte. Auch in mir lebte ein dunkler Teil. Ein Schatten, der niemals wieder verschwinden würde. Ein Wesen, das Christopher hasste.
War es ihm überhaupt noch möglich, mich zu lieben? Ihn fortzuschicken schien der einfachste Weg zu sein. Einander zu meiden war bei Racheengeln üblich. Mit der Zeit würde unsere kleine Liebesgeschichte in Vergessenheit geraten. Gerüchte würden entstehen und wieder verschwinden, bis niemand mehr glaubte, dass Racheengel lieben konnten.
Meine Hände drückten mich von der Wand weg, noch bevor ich ihnen den Befehl dazu erteilte. Als Christopher zurückkam, um mich von meiner Schattenseite zu befreien, wusste er, was ihn erwartete. Er war dennoch gekommen. Er zweifelte nicht an seiner Liebe – ich war der schwache
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