Tanz der Engel
stoßen, der vor mir stand. Ich sollte einer von ihnen werden. Sie hatten sich für und nicht gegen mich entschieden – sonst würde ich jetzt nicht hier stehen.
Der Wunsch, zu ihnen zu gehören, einen Ort zu finden, wo ich mich sicher fühlte, wo meine Liebe zu Christopher akzeptiert wurde, besiegte meine letzten Zweifel und raubte dem Dolch seine Macht. Entschlossen reckte ich die Dämonenwaffe gen Himmel.
Der Jubelschrei meiner Mitschüler machte mich unendlich glücklich. Ihre Ablehnung schien der Vergangenheit anzugehören. Sie bauten auf die Stärke meiner Engelsseele und begrüßten mich in ihren Reihen.
Arons Arme streckten sich mir entgegen. Ich legte meine Hände in seine. Er schloss die Finger, so dass der Dolch sicher zwischen uns lag.
»Seele des Lichts, sei uns willkommen«, fuhr Aron mit seiner wohltönenden Stimme fort. »Verwahre den Dolch der Dämonen an einem sicheren Ort.«
Ich stutzte. Seele des Lichts? Meinte er etwa mich?! Sollte ich jetzt wissen, wo sich dieser sichere Ort befand? Im Verlies bei Christopher? – Wohl eher nicht.
Aron bemerkte meine Verwirrung und blinzelte mir zu. Dass ihn meine Reaktion amüsierte, verrieten nur seine Augen. Der Rest von ihm mimte den perfekten Zeremonienengel.
Also übte ich mich in Geduld und sehnte das Ende des Rituals herbei, das mich zum Mittelpunkt erhob. Es kam rasch – und unerwartet: Aron drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Einen huldvollen, gebieterischen, aber dennoch überraschenden. Er hielt mich dabei fest, damit ich vor Schreck nicht vor ihm zurückweichen konnte, was ich sicher getan hätte.
»Nun geh«, beendete er das Spektakel. »Und warte auf mich bei der Feuerwiese«, flüsterte er mir ins Ohr, während er mich umdrehte, so dass ich mit dem Rücken zu ihm stand und die versammelte Schar der Engelschüler vor Augen hatte.
Auf den Gesichtern lag angespannte Erwartung, manche lächelten sogar. Selbst Markus sah mich nicht mehr ganz so ängstlich an. Einzig aus Susans Augen sprach noch dieselbe Wut. Es schien ihr nicht zu passen, dass ich jetzt Teil ihrer Welt war. Vielleicht bedeutete ihr Christopher mehr als … Ich zwang mich, nicht weiterzudenken. Eifersucht war das Letzte, was ich in diesem Moment gebrauchen konnte.
Aron erreichte kurz nach mir die Wiese am See. Den Dolch hielt ich noch immer in meiner Hand – ihn in den Hosenbund zu stecken, erschien mir viel zu gefährlich.
»Gut gemacht, Lynn!«, lobte er mich.
»Danke«, flüsterte ich und errötete wie ein schüchternes Vorschulkind. Seine Anerkennung kam unerwartet.
Aron grinste bis über beide Ohren. »Du hast das Lob verdient.Schließlich hast du hart mit dir gekämpft. Und ich muss zugeben, dass du mich wirklich beeindruckt hast. Christopher hatte recht mit seiner Theorie. Soweit ich weiß, hat kein Racheengel den ersten Schritt so schnell gemeistert wie du. Du kannst stolz auf dich sein!«
Doch ich empfand alles andere als Stolz. Aron spürte, dass ich kurz davor war, in Tränen auszubrechen.
»Mach dir keine Sorgen um Christopher. Es geht ihm gut«, tröstete er mich. »Für dich ist es jetzt wichtig, deine Aufgabe zu beenden. Es wird dir helfen, dich weiterzuentwickeln.«
Ich nickte. Ein wenig mehr Engel zu sein könnte helfen, Christopher zurückzuholen. Und wenn Arons gute Laune anhielt, ließ er mich vielleicht zu ihm. Also schluckte ich meine Schluchzer, wischte über meine brennenden Augen und schaute ihm erwartungsvoll entgegen.
»Was muss ich tun?«
»Bring den Dolch in die Kapelle am See, und lege ihn auf dem Altar ab.«
»Ist das alles?«
»Mehr oder weniger«, sagte Aron ausweichend. »Um die Kapelle in unserer Welt zu halten – obwohl sie in deiner schon lange zerstört ist –, bedarf es Engelsmagie. Sie umgibt das Gebäude, und nur wer reinen Herzens ist, kann sie ungehindert betreten.«
»Zieht sich Christopher deshalb so oft dorthin zurück?«
»Ja. Sie gibt ihm die Sicherheit, er selbst zu sein. Du hast Zeit bis zum Einbruch der Dunkelheit. Falls du es nicht schaffst, werde ich dich finden.« Arons Anweisung war nicht umsonst zweideutig. Er würde mich nicht gehen lassen, wenn ich versuchen sollte abzuhauen, aber mich auch nicht aufgeben, falls ich versagte.
Schon einmal war ich mit pochendem Herzen zur Kapelle am See gelaufen. Damals hatte ich Christopher meine Liebe gestanden– dort hatte er mich zum ersten Mal geküsst. Ich ging schneller, damit ich mich auf den unebenen Pfad durch den Wald konzentrieren musste und nicht allzu
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