Tanz der Hexen
Weiße Strümpfe spannten sich um ihre strammen Beine.
»Hast du Hunger, Michael?« fragte Pierce.
»Nein, mein Junge. Danke.«
»Aber ich«, sagte Mona. »Wir kommen gleich wieder. Wir gehen hinunter und besorgen uns was zu essen.«
»Du kommst doch zurück, oder?« drängte Michael. »Gott, du mußt ja so müde sein, Mona. Mona, es tut mir leid, das mit deiner Mutter. Ich hab’s erst vorhin erfahren.«
»Das ist schon okay«, sagte Mona.
Bevor sie zur Tür hinausging, zündete Michael sich wieder eine Zigarette an. Zipp, Blitz – und beide Schwestern fuhren herum und funkelten ihn wütend an.
»Klappe«, sagte Hamilton Mayfair.
»Lassen Sie ihn rauchen«, sagte Magdalene.
Die Schwestern schauten einander an, verstockt, kalt. Warum besorgen wir nicht andere Schwestern? dachte Mona.
»Ja«, sagte Magdalene leise. »Wir werden uns gleich darum kümmern.«
Genau, dachte Mona. Sie ging mit Pierce hinaus und die Treppe hinunter.
Im Eßzimmer saß ein sehr alter Priester. Das mußte Timothy Mayfair aus Washington sein. Sauber und altmodisch in seinem unverwechselbaren Anzug mit dem schwarzen Chemisett und dem strahlend weißen Katholikenkragen. Als Mona und Pierce vorübergingen, sagte der Priester in laut hallendem Flüsterton zu der Frau, die neben ihm saß: »Dir ist klar, wenn sie stirbt… wird es kein Unwetter geben. Zum ersten Mal gibt es kein Unwetter!«
27
Aaron glaubte es auch nicht. Die drei Männer standen zusammen draußen auf dem Rasen. Yuri fragte sich, ob dieser Tag wohl später zu den schlimmsten seines Lebens gehören würde. Wie er Aaron gesucht und endlich am Abend gefunden hatte, hier in diesem großen, rosaroten Haus, an dem lärmende Straßenbahnen vorüberfuhren, während drinnen lauter Leute weinten. Und bei ihm Stolov, mit seiner dominanten, verwirrenden Präsenz, ständig leise und förmlich auf ihn einredend, während sie vom Hotel aus zum Haus der Mayfairs in der First Street und schließlich weiter zur »Amelia« gegangen waren, wie diese ausgedehnte Villa anscheinend hieß.
Drinnen weinten ein paar Dutzend Leute – wie Zigeuner bei einer Beerdigung weinen und klagen. Es wurde viel getrunken.
Draußen standen die Leute in Trauben beieinander, rauchend und redend. Die Atmosphäre war gesellig, aber angespannt. Jeder schien auf etwas zu warten.
Aaron wirkte überhaupt nicht angespannt. Er sah gut aus, wenn man alles bedachte, so robust, wie Yuri ihn nur selten gesehen hatte, von guter Gesichtsfarbe und mit einem geschärften Ausdruck, der von seinem kalten Mißtrauen gegen Stolov herrührte, Stolov, der redete und redete. Es war, als sei Aaron hier jünger geworden; er war nicht mehr so sehr der alternde Bücherwurm als vielmehr der energische Gentleman, der er vor Jahren gewesen war. Seine weißen Locken waren etwas länger und umrahmten sein Gesicht voller als zuvor, und seine Augen hatten die alte Helligkeit.
Was immer hier passiert war, hatte ihn nicht strapaziert oder altern lassen.
Sie standen weit hinten auf dem kurz gemähten Rasen, unter einem Baum, den Aaron als Magnolie bezeichnet hatte. Blüten hatte er nicht, dieser Baum. Zu früh. Aber er hatte riesengroße, hochglänzende grüne Blätter.
Stolov redete und redete auf seine ruhige, eindringliche, ganz und gar sympathische Art. Und Aarons Augen waren zwei kalte graue Steine. Nichts spiegelte sich darin, und sie offenbarten nichts außer seinem Ärger. Aaron sah Yuri an. Was sah er wohl? Yuri warf einen vielsagenden Blick zu Stolov hinüber, so schmal und kurz wie ein Lichtsplitter, ein Funke.
Aarons Blick kehrte zurück zu Stolov. Stolov hatte Yuri nicht angeschaut. Seine Aufmerksamkeit konzentrierte sich ausschließlich auf Aaron, als müsse er hier unbedingt einen Sieg erringen.
»Wenn Sie heute abend nicht mehr abreisen möchten, dann doch sicher morgen«, sagte Stolov eben.
Aaron gab keine Antwort.
Stolov hatte seinen Vortrag jetzt schon mindestens zweimal gehalten. Eine wunderschöne ältere Frau mit glattem dunkelgrauen Haar stand am Ende der Holzveranda und rief Aaron. Er winkte ihr zu, er komme gleich. Dann sah er wieder Stolov an.
»Du lieber Gott, Mann, sagen Sie doch etwas«, bat Stolov. »Wir wissen, wie schwer es für Sie ist. Fahren Sie nach Hause, nach London. Ruhen Sie sich ein bißchen aus; Sie haben es sich verdient.«
Es stimmte einfach nicht – nichts von dem, was der Mann sagte, nicht sein Benehmen, nicht seine Worte.
»Sie haben recht«, sagte Aaron leise.
»Womit?«
»Daß
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