Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
hatte zarte Handgelenke, und das einfache, weite Seidenkleid trug sie mit Anmut. Ihre Fußknöchel waren schlank und wohlgeformt wie die eines jungen Mädchens.
    »Aaron«, sagte sie mit leisem Tadel. Sie streckte die Hände aus – jugendlich, zierlich, von Ringen bedeckt – und faßte Aaron bei den Schultern, und dann gab sie ihm einen sanften Kuß auf die Wange. Aaron nickte ihr in wortlosem Einvernehmen zu.
    »Komm mit uns ins Haus«, sagte er zu Yuri. »Sie brauchen uns jetzt. Wir unterhalten uns später.« Seine Miene hatte sich dramatisch verändert. Jetzt, da Stolov nicht mehr da war, wirkte er heiterer; er war fast wieder der alte.
    Das Haus war erfüllt von guten, schweren Küchendüften und aufgeregtem, stürmischem Stimmengewirr. Es wurde laut und explosiv gelacht – das überdrehte, ekstatische Gelächter von Leuten bei einer Totenwache. Man hörte auch Weinen, von Männern wie von Frauen. Ein alter Mann saß weinend am Tisch, die Arme vor sich verschränkt. Ein junges Mädchen mit weichem braunen Haar tätschelte ihm unaufhörlich die Schulter; ihr eigenes Gesicht zeigte nur Furcht.
    Man führte Yuri nach oben in eines der hinteren Schlafzimmer, klein und verblichen, aber ganz ansprechend mit dem schmalen, vierpfostigen Einzelbett und einer dunkelgoldenen Satinbettdecke, die schon bessere Zeiten gesehen hatte. An den Fenstern hingen staubige Vorhänge. Aber ihm gefiel die Wärme, die Behaglichkeit, sogar die verschossene Blumentapete an der Wand. Er erblickte sein Spiegelbild in der Kleiderschranktür – dunkles Haar, dunkle Haut, und zu dünn.
    »Ich bin Ihnen dankbar«, sagte er zu der grauhaarigen Frau, die Beatrice hieß. »Aber finden Sie nicht, ich sollte ins Hotel gehen und selbst für mich sorgen?«
    »Nein«, sagte Aaron. »Du gehst nirgendwohin. Ich will dich hier bei mir haben.«
    Sie gingen die hintere Treppe hinunter; unten war die Luft wärmer, und Zigarettenrauch lag in dunstigen Schichten in den Räumen. Rund um einen Frühstückstisch vor einem hellen Kaminfeuer saßen mehrere Leute und lachten und weinten gleichzeitig. Ein einzelner Mann stand feierlich vor dem Kamin und starrte düster in die Flammen. Das Feuer konnte Yuri nicht sehen; er stand hinter dem Kamin, aber er sah das Flackern, er hörte das Knistern, und er spürte die Wärme.
    Plötzlich lenkte ihn eine schemenhafte weibliche Erscheinung in einem kleinen Hinterzimmer von der Umgebung ab; sie schaute aus einem Fenster in die Nacht hinaus. Sehr alt und zerbrechlich sah sie aus, in Gabardine und verwelkte Spitze gekleidet. Sie trug eine schwere Goldbrosche in Form einer Hand mit Diamanten als Fingernägel. Ihr feingesponnenes weißes Haar, das auf altmodische Art zu einem Nest geflochten und mit Nadeln am Hinterkopf zusammengesteckt war, umrahmte zart das Gesicht. Eine zweite Frau, jünger als sie, aber immer noch unglaublich alt, hielt die Hand dieser Uralten, wie um sie vor irgend etwas zu beschützen – obwohl man sich nicht denken konnte, wie das geschehen sollte.
    »Komm jetzt, uralte Evelyn, komm mit uns«, sagte Beatrice. »Und du auch, Darling Viv. Kommt zum Feuer.«
    Die uralte Frau, Evelyn, wisperte leise etwas vor sich hin. Sie deutete zum Fenster, und ihr Finger sank herab, als habe sie nicht die Kraft, ihn geradezuhalten. Wieder deutete sie, und wieder sank der Finger herab.
    »Jetzt komm, meine Liebe, du tust es schon wieder«, sagte die Frau, die Beatrice mit Darling Viv angeredet hatte. Sie war liebevoll. »Ich kann dich nicht hören. Aber du kannst sprechen, uralte Evelyn.« Es klang, als rede sie lockend auf ein Baby ein. »Du weißt, daß du es kannst. Du hast gestern den ganzen Tag gesprochen. Sprich, meine Liebe, sprich, damit ich dich hören kann.«
    Wieder murmelte die Uralte undeutlich etwas und sie streckte weiter den Finger aus. Aber Yuri sah nur die dunkle Straße, die Nachbarhäuser, ein paar Lichter und die dunklen, wuchtig aufragenden Bäume.
    Aaron faßte ihn beim Arm. Eine junge Frau mit rabenschwarzem Haar und wunderschönen goldenen Ohrringen kam auf sie zu. Sie trug ein rotes Wollkleid mit einem eleganten Gürtel. Sie blieb für einen Augenblick vor dem Feuer stehen und wärmte sich die Hände; dann kam sie näher, so daß Aaron, Beatrice und sogar Darling Viv auf sie aufmerksam wurden. Ihre Ausstrahlung war von kühler Autorität.
    »Alle sind versammelt«, teilte sie Aaron vielsagend mit. »Und alle sind wohlauf. Um diesen Block und um den Block gegenüber sowie je zwei Blocks weit

Weitere Kostenlose Bücher