Tanz der Hexen
Augen geschlossen.
Noch andere waren im Schatten. Der Schein der Nachttischlampe fiel geradewegs auf Rowan Mayfairs Gesicht, wie ein Kameraspot. Die bewußtlose Frau sah kleiner aus als ein kleines Kind. Lausbub oder Engel. Ihr Haar war glatt zurückgekämmt.
Mona suchte den alten Ausdruck, den Stempel der Persönlichkeit. Nichts mehr da.
»Ich habe Musik gespielt«, sagte Michael in dem gleichen leisen, nachdenklichen Tonfall wie zuvor. Er blickte zu Mona auf. »Ich habe das Victrola gespielt. Juliens Victrola. Und da meinte die Schwester, vielleicht gefällt ihr der Klang nicht. Er ist kratzig, er ist… etwas Besonderes. Man muß ihn schon mögen, nicht wahr?«
»Die Schwester mochte ihn wahrscheinlich nicht«, sagte Mona. »Soll ich eine Platte auflegen? Wenn du willst, kann ich dir dein Radio unten aus der Bibliothek holen. Ich habe es gestern dort gesehen, neben deinem Sessel.«
»Nein, es ist schon gut. Kannst du kommen und dich für ein Weilchen hersetzen? Ich freue mich, dich zu sehen. Weißt du, ich habe Julien gesehen.«
Pierce erstarrte. Ein anderer Mayfair – hieß er Hamilton? – in der Ecke sah Michael plötzlich an und schaute dann wieder weg. Lilys Augen öffneten sich, zuckten nach rechts und verharrten auf Michael. Magdalene betete weiter ihren Rosenkranz; langsam musterte sie die ganze Runde und ließ ihren Blick dann zu Michael zurückkehren.
Es war, als habe Michael vergessen, daß sie alle da waren. Oder es war ihm scheißegal.
»Ich habe ihn gesehen«, sagte er in rauhem, heiserem Flüsterton. »Und, äh… er hat mir soviel erzählt. Aber er hat nicht gesagt, daß dies hier passieren würde. Er hat mir nicht gesagt, daß sie nach Hause kommen würde.«
Mona setzte sich auf den kleinen Samtstuhl neben ihm, mit dem Gesicht zum Bett.
Mit leiser Stimme – die anderen störten sie – sagte sie: »Julien hat es wahrscheinlich nicht gewußt.«
»Meinst du Oncle Julien?« fragte Pierce in dünnem schüchternem Wispern quer durch das Zimmer. Hamilton Mayfair drehte sich um und schaute Michael unmittelbar an, als sei dies die faszinierendste Sache der Welt.
»Hamilton, was machst du hier?« fragte Mona.
»Wir wechseln uns alle ab«, antwortete Magdalene flüsternd. Und Hamilton erklärte: »Wir wollen einfach hier sein.«
Sie alle hatten etwas Sittsames und zugleich Verzweifeltes an sich. Hamilton mußte jetzt ungefähr fünfundzwanzig sein. Er sah gut aus, nicht funkelnd schön wie Pierce, aber sehr hübsch auf seine zu schmale Art. Sie wußte nicht mehr, wann sie zuletzt mit ihm gesprochen hatte. Er schaute sie an und lehnte dabei mit dem Rücken am Kamin.
»Alle Verwandten sind hier«, sagte er.
Michael sah sie an, als habe er die ändern überhaupt nicht gehört. »Was meinst du damit«, fragte er, »daß Julien es nicht gewußt haben soll? Er muß es doch gewußt haben.«
»So ist es nicht, Michael«, antwortete sie, bemüht, weiter zu flüstern. »Es gibt ein altes irisches Sprichwort: ›Ein Geist kennt seine eigenen Angelegenheiten.‹ Außerdem war er es ja nicht wirklich, weißt du. Wenn die Toten kommen, sind sie nicht da.«
»O doch«, sagte Michael; seine Stimme klang dünn und müde, aber aufrichtig. »Es war Julien. Er war hier. Wir haben stundenlang miteinander gesprochen.«
»Nein, Michael. Es ist wie mit der Schallplatte. Du setzt die Nadel in die Rille, und Violetta singt. Aber sie ist nicht im Zimmer.«
»Er war da«, sagte Michael leise und ohne Streitlust. Beinahe geistesabwesend beugte er sich vor und nahm Rowans Hand. Rowans Arm leistete leisen Widerstand; die Hand wollte dicht am Körper bleiben. Er umfaßte sie sanft, neigte sich darüber und küßte sie.
»Was hat Onkel Julien dir denn erzählt?« fragte Pierce auf seine unschuldige Art. Er machte sich nicht lustig. Er wollte wirklich wissen, was Michael zu berichten hatte.
»Keine Sorge«, sagte Michael, »die Zeit wird kommen. Bald schon, glaube ich. Und dann werde ich wissen, was zu tun ist.«
»Du klingst sehr sicher«, sagte Hamilton Mayfair leise. »Ich wünschte, ich hätte eine Ahnung, was hier vorgeht.«
»Zerbrich dir nicht den Kopf«, sagte Mona.
»Wir sollten jetzt alle ruhig sein«, sagte die Schwester. »Vergessen Sie nicht, Dr. Mayfair könnte Ihnen zuhören.« Sie nickte heftig mit dem Kopf, ein lautloses Zeichen dafür, daß sie aufpassen sollten. »Da wollen Sie ja wohl nichts… Störendes sagen, wissen Sie.« Die andere Schwester saß an einem kleinen Mahagonitisch und schrieb.
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