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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Und wenn sie nur das leiseste Zeichen von sich -«
    »Selbstverständlich.«
    Er setzte sich und schloß die Augen. Er fing an zu dösen. Julien sagte etwas zu ihm, aber es war nur eine Erinnerung, die lange Geschichte, das Bild Marie Claudettes mit ihren sechs Fingern. Sechs Finger an der linken Hand. Rowan hatte wunderschöne und makellose Hände gehabt. Chirurgenhände.
    Und wenn sie getan hätte, was Carlotta Mayfair gewollt hatte? Was ihre Mutter gewollt hatte? Wenn sie nie nach Hause gekommen wäre?
    Er schrak hoch. Die Krankenschwester hob Rowans linkes Bein sanft und behutsam hoch, strich eine Lotion auf die Haut. Wie dünn sie aussah, wie verbraucht. »Das verhindert, daß sie einen Spitzfuß bekommt. Wir müssen es regelmäßig tun. Vielleicht möchten Sie die ändern auch daran erinnern. Ich schreibe es auf die Karte. Aber Sie denken daran?«
    »Ja«, sagte er.
    »Sie muß eine schöne Frau gewesen sein«, meinte die Schwester kopfschüttelnd.
    »Sie ist eine schöne Frau«, sagte Michael, aber es lag kein Ärger in diesen Worten, kein Widerwille. Es war nur der Richtigkeit halber.

 
32

    Er wollte es noch einmal tun. Emaleth wollte nicht aufhören zu tanzen. Das Gebäude war leer; heute abend kam niemand. Und sie tanzte nicht, außer im Schlaf. Sie öffnete die Augen. Da war er. Die Musik spielte; sie hatte sie im Traum gehört, und jetzt war er so hartnäckig. Tu es. Er wollte ihr die lange Hose ausziehen und in ihr sein. Sie hatte nichts dagegen, aber sie mußte nach New Orleans. Wirklich. Schau, es war schon wieder dunkel, eindeutig nachtdunkel. Draußen würden die Sterne tief über dem Feld stehen, über dem Sumpfland, über dem glatten Highway mit den silbernen Drähten und den träumerischen weißen Lichtern. Muß jetzt losgehen.
    »Komm schon, Honey.«
    »Ich habe dir doch gesagt, wir können kein Baby machen«, sagte sie. »Es wird nicht gehen.«
    »Das ist ganz prima, Darlin’. Stört mich überhaupt nicht, wenn wir kein Baby machen. Komm schon, du bist mein süßes Mädchen. Was ist, wenn ich die Musik ausmache? Und hier – ich hab’ dir Milch gebracht. Frische Milch. Du hast gesagt, du willst noch Milch, weißt du noch? Guck, und Eiscreme hab’ ich auch.«
    »Hmmm, das ist gut«, sagte sie. »Dreh den Musikknopf herunter.«
    Erst dann konnte sie sich bewegen. Die Musik klopfte dünn und winzig in ihrem Kopf, wie ein Fisch, der in einer Pfütze zappelt und versucht, größer zu werden. Sie nagte an ihr, aber sie verschlang sie nicht.
    Sie riß den Plastikverschluß von der großen Flasche herunter und trank und trank. Ah, gute Milch. Nicht Mutters Milch, aber Milch. Nicht frisch und warm. Aber gut. Wenn in Mutter nur mehr Milch gewesen wäre. Sie hungerte sosehr nach Mutter. Sie hungerte sosehr danach, in Mutters Armen zu liegen und zu trinken. Das Gefühl wurde schlimmer statt besser. Wenn sie an Mutter dachte, wollte sie weinen.
    Aber sie hatte jeden Tropfen getrunken, den sie von Mutter hatte bekommen können, und es war genug gewesen. Sie war groß geworden und hatte Mutter erst verlassen, als sie wußte, daß sie es mußte.
    Hoffentlich hatten die braunen Leute Mutter gefunden und sie in ein richtiges Grab gelegt. Hoffentlich hatten sie gesungen und roten Ocker und Blumen gestreut. Mutter würde nie wieder aufwachen. Mutter würde nie wieder sprechen. Nie wieder würde es Milch in Mutter geben. Mutter würde keinen Tropfen mehr hervorbringen.
    War Mutter denn tot? Sie sollte zu Michael gehen und Michael erzählen, was Mutter gesagt hatte. Ein Gefühl der Liebe und Zärtlichkeit überkam sie bei dem Gedanken an Michael und an Mutters Liebe zu ihm. Und dann weiter nach Donnelaith. Wenn Vater dort schon auf sie wartete? Was dann?
    Sie trank und trank. Er lachte. Er hatte die Musik wieder lauter gestellt. Bum, bum, bum. Sie ließ die Flasche fallen und wischte sich die Lippen ab. Sie sollte jetzt gehen. »Ich muß dich verlassen.«
    »Noch nicht, Darlin’.« Er setzte sich neben sie, hob die Milchflasche auf und stellte sie sorgfältig beiseite. »Willst du ein Eis? Leute, die Milch mögen, die mögen immer auch Eis.«
    »Ich habe noch nie welches gegessen.«
    »Honey, du wirst hingerissen sein.« Er riß die Packung auf und fing an, sie mit einem kleinen weißen Löffel zu füttern. Oh, das schmeckte noch mehr nach Mutters Brust, süßer und köstlicher. Ein Beben durchströmte sie. Sie nahm ihm den Karton ab und fing an zu essen. Sie summte zur Musik. Plötzlich gab es nur noch die

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