Tanz der Hexen
geschlossenen Fenster.
Noch jemand stand im Zimmer. Es war Yuri, der Zigeuner mit den schrägen Augen und dem schwarzen Haar. Er lächelte Michael an, und für einen Moment geriet Michael erschrocken aus dem Gleichgewicht. Aber das Gesicht war freundlich. Beinahe so engelsgleich wie Aarons.
Er stand auf und winkte dem Mann, in den Flur hinauszukommen.
»Ich komme von Aaron«, sagte Yuri. »Ich soll Ihnen sagen, daß er glücklich verheiratet ist. Sie sollen nicht vergessen, was er gesagt hat. Sie dürfen niemanden von der Talamasca hereinlassen. Niemanden. Sie müssen es den Leuten sagen. Es war ein Kinderspiel für mich, hereinzukommen. Wollen Sie nicht sofort allen Bescheid sagen?«
»Ja, ja, das tue ich.« Er drehte sich zur Krankenschwester um und machte eine kleine Geste. Sie wußte, was es bedeutete. Messen Sie Rowans Vitalfunktionen. Ich muß für drei Minuten hinaus. Aber ich gehe erst, wenn Sie ihr den Puls gefühlt haben.
Die Schwester machte sich sofort an die Arbeit und signalisierte ihm dann: »Unverändert.«
»Sicher?«
Die Schwester tat einen eisigen Seufzer. »Ja, Mr. Curry.«
Sie gingen die Treppe hinunter, Michael voran. Er fühlte sich ein bißchen benommen; vielleicht sollte er etwas essen. Durfte das Essen nicht vergessen. Aber dann fiel es ihm wieder ein. Jemand hatte ihm einen großen Teller Abendbrot gebracht. Eigentlich dürfte ihm also nichts fehlen.
Er trat auf die Veranda hinaus und rief die Wachleute vom Tor herein. Einen Augenblick später waren fünf uniformierte Sicherheitsmänner um ihn versammelt. Yuri informierte sie. Niemand von der Talamasca dürfe herein. Nur Yuri und Aaron Lightner. Yuri zeigte ihnen seinen Paß. »Aaron kennen Sie ja«, sagte er.
Sie nickten. Sie hatten verstanden.
»Na, wir lassen hier sowieso niemanden rein, den wir nicht kennen, wissen Sie. Von den Krankenschwestern haben wir eine Namensliste.«
Michael begleitete Yuri zurück zum Tor. Die frische Luft tat gut. Sie weckte ihn auf.
»Ich habe sie überredet, mich hineinzulassen«, sagte Yuri. »Ich will keinen von ihnen in Schwierigkeiten bringen, aber bleiben Sie dran. Erinnern Sie sie immer wieder daran. Ich habe ihnen meinen Namen nicht genannt.«
»Ich hab’s verstanden«, sagte Michael. Er drehte sich um und schaute zum Fenster des großen Schlafzimmers hinauf. An jenem Abend, als er es zum aller ersten Mal gesehen hatte, hatten Kerzen hinter geschlossenen Blenden geflackert. Er betrachtete das Fenster darunter, das Bibliotheksfenster, durch welches das Wesen beinahe hereingekommen wäre.
»Ich hoffe, du bist schon in der Nähe. Ich hoffe, du kommst«, sagte er in erbittertem Flüsterton, der nur für Lasher gedacht war, seinen heimlichen und alten Freund.
»Sie haben den Revolver, den Mona Ihnen gegeben hat?« fragte Yuri.
»Oben. Woher wissen Sie davon?«
»Sie hat es mir erzählt. Stecken Sie ihn ein. Tragen Sie ihn immer bei sich. Sie haben mehr als einen Grund.« Er deutete auf eine Gestalt, die auf der anderen Seite der Chestnut Street im Schatten einer Steinmauer stand. »Das ist jemand von der Talamasca«, sagte er.
»Yuri, Sie und Aaron glauben doch sicher nicht ernsthaft, daß diese Leute gefährlich sind. Sie sind verschlagen, das sehe ich wohl. Sie helfen uns nicht. Aber gefährlich? Lasher ist es, den wir zu fürchten haben. Lasher ist es, den wir fangen müssen« – Er griff in die Tasche. »Fast vergessen. Bringen Sie das Aaron. Sie können es auch lesen, wenn Sie wollen. Es ist ein Gedicht. Nicht von mir. Sorgen Sie dafür, daß er es bekommt. Nicht heute nacht – morgen früh, oder wann immer Sie ihn sehen, ist es noch früh genug. Tatsächlich widerspricht es dem, was ich sage, aber darum geht es nicht. Ich will nur, daß er es sieht. Alles. Vielleicht sagt es ihm etwas. Ich weiß es nicht.«
»Gut. Ich sehe ihn in einer Stunde. Ich gehe jetzt wieder. Aber behalten Sie den Revolver in Reichweite. Sehen Sie den Mann da? Er heißt Clement Norgan. Sprechen Sie nicht mit ihm. Lassen Sie ihn nicht ins Haus.«
Damit trat Yuri zurück und lief davon. Mit wenigen großen Schritten hatte er die Chestnut Street überquert und war die First hinuntergegangen, ohne Norgan auch nur einen Seitenblick zuzuwerfen.
Michael ging wieder die Stufen hinauf. Er winkte den Wachmann an der Tür zu sich.
»Der Mann da drüben – behalten Sie ihn im Auge«, sagte er.
»Oh, der ist okay. Ein Privatdetektiv, von der Familie engagiert.«
»Sind Sie sicher?«
»Absolut. Hat uns seinen
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