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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Ausweis gezeigt.«
    »Ich glaube nicht«, sagte Michael. »Yuri kannte ihn. Er ist kein Privatdetektiv. Hat Ihnen jemand von der Familie gesagt, daß man ihn beauftragt hat, dort zu stehen?«
    Der Sicherheitsmann geriet in Panik. »Nein. Er hat mir nur seinen Ausweis gezeigt. Sie haben recht. Das hätte von Ryan oder von Pierce Mayfair kommen müssen.«
    »Merken Sie sich das.« Michael hätte fast gesagt: »Rufen Sie ihn her.« Am liebsten wäre er die Treppe hinunter und zu dem Mann hinübergegangen. Aber dann fiel ihm die seltsam eindringliche Ermahnung ein: Sprechen Sie nicht mit ihm.
    »Kennen Sie die nächste Schicht?« fragte er. »Ihre Namen? Gesichter?«
    »Ja, alle. Und die Jungs hinten auch. Ich weiß, wer morgen nachmittag um drei kommt, und wer morgen um Mitternacht. Ich habe sämtliche Namen. Ich hätte den Burschen in die Zange nehmen müssen. Hören Sie, lassen Sie mich den Drecksack wegjagen. Erzählt mir, er arbeitet für die Mayfairs.«
    »Nein, beobachten Sie ihn nur. Vielleicht hat Ryan ihn ja engagiert. Vielleicht hat er nur vergessen, es Ihnen und mir zu sagen. Behalten Sie ihn nur im Auge; beobachten Sie ihn und jeden anderen, und lassen Sie niemanden herein, ohne mit mir zu sprechen.«
    »Jawohl, Sir.«
    Michael ging ins Haus und schloß die große Tür hinter sich. Einen Moment lang lehnte er sich dagegen und schaute den schmalen Korridor hinunter; es war ein altvertrauter Anblick: die hohe, schlüssellochförmige Tür zum Eßzimmer und ein Stück Wandgemälde dahinter.
    »Was wird geschehen, Julien? Wie wird es ausgehen?«
    Morgen würde die Familie im Eßzimmer zusammenkommen, um eben diese Frage zu erörtern. Wenn der Mann nicht auftauchte, was sollten sie dann tun? Welche Verpflichtung hatten sie gegen andere? Wie sollte man damit umgehen?
    »Wir werden die Einzelheiten, das, was wir wissen, so behandeln, wie es bei gewieften Anwälten üblich ist«, hatte Ryan gesagt. »Dieser Mann hat Rowan entführt und mißbraucht. Mehr brauchen die verschiedenen Justiz- und Polizeibehörden nicht zu wissen.«
    Michael grinste. Er begann, die lange Treppe hinaufzusteigen. Nicht die Stufen zählen, nicht darüber nachdenken, die Stiche in der Brust nicht beachten, und auch nicht das schwimmende Gefühl im Kopf.
    Das würde Spaß machen – mit den »verschiedenen Justiz- und Polizeibehörden« zusammenzuarbeiten und dabei zu versuchen, das alles geheimzuhalten. O Gott, für die Zeitungen wäre es ein gefundenes Fressen. Die schlichteste Variante bestände vermutlich darin, daß der Mann als »Satanist« bezeichnet würde, als Mitglied eines gewalttätigen und gefährlichen »Kultes«.
    An der Schlafzimmertür blieb er stehen. Alles war, wie er es verlassen hatte. Hamilton las. Die Schwester hatte ihre Tabellen vor sich. Die Kerzen verströmten den süßen, teuren Duft von gutem Wachs, und hinter ihnen tanzte der Schatten der Marienstatue. Der flirrende Schatten fiel über Rowans Gesicht und verlieh ihm falsches Leben.
    Er wollte an seinen alten Platz zurückkehren, als er im Schlafzimmer am Ende des Ganges eine Bewegung wahrnahm. Das mußte die andere Schwester sein, dachte er, aber es gefiel ihm nicht, und er ging den Gang hinunter, um nachzusehen.
    Einen Augenblick lang konnte er nicht erkennen, was er da sah – eine große, weißhaarige Frau in einem Flanellnachthemd. Eingefallene Wangen, glänzende Augen, eine hohe Stirn. Das weiße Haar fiel ihr offen über die Schultern. Das Nachthemd reichte ihr bis an die nackten Füße. Das Stechen in seiner Brust wurde zu einem Schmerz.
    »Ich bin’s, Cecilia«, sagte sie barmherzig, geduldig. »Ich weiß schon. Einige von uns Mayfairs sehen von Geburt an aus wie Gespenster. Ich werde hereinkommen und mich zu ihr setzen, wenn du willst. Ich habe gerade gute acht Stunden geschlafen. Warum legst du dich nicht ein Weilchen hin?«
    Er schüttelte den Kopf. Er kam sich albern vor und war sehr erschrocken. Hoffentlich, o Gott, hatte er sie nicht gekränkt!
    Er ging zurück, um seine Wache wieder aufzunehmen. Rowan, meine Rowan.
    »Was ist das für ein Fleck auf ihrem Nachthemd?« fragte er die Schwester.
    »Oh, das muß ein bißchen Wasser sein«, sagte die Schwester und betupfte Rowans Brust mit einem trockenen Waschlappen. »Ich habe ihr das Gesicht abgewischt und die Lippen befeuchtet. Soll ich sie jetzt massieren, ihre Arme durchkneten, um sie beweglich zu halten?«
    »Ja, tun Sie das. Tun Sie alles Erdenkliche. Tun Sie’s, wann immer Sie Langeweile haben.

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