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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Und ein feiner schwarzer Stift. Perfekt.
    Er nahm Block und Stift heraus und schloß die Schublade.
     
Lieber Aaron,
    jemand wird Ihnen diese Nachricht bringen. Ich werde nämlich in nächster Zeit kaum Gelegenheit haben, Ihnen das folgende mitzuteilen. Ich glaube immer noch, daß Sie sich irren, was die T. angeht. Sie können es einfach nicht getan haben. Es kann einfach nicht sein. Aber es gibt noch jemanden, der so denkt wie Sie. Das müssen Sie wissen.
    Dies ist das Gedicht, das Julien mir rezitiert hat, das Gedicht, das er vor über siebzig Jahren von der uralten Evelyn gehört hat. Ich komme hier nicht weg, um die uralte Evelyn zu fragen, ob sie sich daran erinnert. Sie redet nicht mehr vernünftig, heißt es. Vielleicht können Sie sie fragen. So aber steht es in meinem Gedächtnis geschrieben:
     
    Einer wird aufstehen, der ist zu böse,
    Einer wird kommen, der ist zu gut.
    Zwischen den beiden wird taumeln die Hexe
    Und damit öffnen das Tor.
     
    Schmerz und Leiden, da sie noch stolpern,
    Blut und Angst, eh sie noch gelernt.
    Wehe diesem Frühlings-Eden,
    Das nun ist ein Jammertal.
     
    Habt acht vor Beobachtern in jener Stunde,
    Verbannt die Doktoren ganz aus dem Haus.
    Gelehrte nähren nur weiter das Böse,
    Und Forscher helfen ihm weiter hinauf.
     
    Laßt den Teufel nur erzählen,
    Laßt ihn wecken Engelsmacht,
    Laßt die Toten Zeugen werden,
    Jagt den Alchimisten fort.
     
    Erschlagt das Fleisch, das ist nicht menschlich,
    Baut auf Waffen grausam roh,
    Denn sterben sie am Rande der Weisheit,
    Streben wohl gequälte Seelen nach dem Licht.
     
    Zerschmettert die Sprößlinge, die nicht Kinder,
    Erbarmt euch nicht derer, die nicht rein,
    Denn sonst kennt Eden nie mehr Frühling,
    Denn sonst herrscht unsre Art nicht mehr.
     
    Er las es noch einmal. Schrecklich, die Handschrift. Er malte einen Kreis um die Wörter Gelehrte, Forscher und Alchimisten.
     
    Er faltete das Blatt zusammen und steckte es in die Tasche. Er würde es nur Pierce oder Gerald anvertrauen, und einer der beiden würde vor Mitternacht noch vorbeischauen. Vielleicht auch Hamilton, der draußen ein Nickerchen machte. Hamilton war kein so schlechter Kerl.
    Er schob den Stift in die Tasche und griff mit der Linken nach Rowans Fingern. Ein plötzliches Zucken. Er sprang erschrocken auf.
    »Nur ein Reflex, Mr. Curry«, sagte die Schwester aus dem Schatten. »Das kommt hin und wieder vor. Wenn sie an eine Maschine angeschlossen wäre, würde die Nadel wie verrückt ausschlagen. Aber es hat nicht das geringste zu bedeuten.«
    Er lehnte sich zurück, hielt die Hand fest und weigerte sich, zuzugeben, daß sie sich so kühl und leblos anfühlte wie immer. Er betrachtete ihr Profil. Es schien ein wenig nach links gerutscht zu sein. Aber vielleicht war es ein Irrtum. Oder sie hatten aus irgendeinem Grund ihren Kopf angehoben. Oder er träumte.
    Dann fühlte er, wie die Finger sich noch einmal strafften.
    »Da – es ist noch mal passiert!« rief er und stand auf. »Schalten Sie die Lampe an.«
    »Da ist nichts. Sie quälen sich nur«, sagte die Schwester. Leise kam sie zum Bett und legte zwei Finger auf Rowans Handgelenk. Dann hob sie eine kleine Lampe aus der Tasche, beugte sich über Rowan und richtete den feinen Lichtstrahl in ihr Auge.
    Sie trat zurück und schüttelte den Kopf.
    Michael setzte sich wieder. Okay, Honey, okay. Ich werde ihn kriegen. Ich werde ihn töten. Ich werde ihn vernichten. Ich werde dafür sorgen, daß sein kurzes fleischliches Leben ein schnelles Ende nimmt. Ich werde es tun. Diesmal wird mich nichts aufhalten. Nichts. Er küßte ihre Handfläche. Keine Bewegung in den Fingern. Er küßte sie noch einmal, und dann faltete er die Hand und legte sie an ihre Seite.
    »Ich liebe dich, Darling, Liebste«, sagte er. »Ich liebe dich. Ich liebe dich.«
    Die Uhr schlug elf. Wie seltsam. Die Stunden schleppten sich dahin, und dann flogen sie vorbei. Nur Rowans Atmen behielt seinen stetigen Rhythmus.
    Er sank in seinen Sessel zurück und schloß die Augen.
     
    Es war nach Mitternacht, als er wieder aufblickte. Er schaute auf die Uhr und sah dann vorsichtig zu Rowan hinüber. Hatte sich etwas geändert? Die Schwester schrieb wie immer an ihrem kleinen Mahagonitisch. Hamilton saß in einem Sessel in der Ecke gegenüber und las im Licht eines kleinen Strahlers.
    Ihre Augen waren irgendwie… Aber die Schwester würde abwinken, wenn er etwas sagte. Trotzdem…
    Der Wachmann stand draußen auf der Galerie mit dem Rücken zum

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