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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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einen sagenhaften Edelstein b e sessen, einen riesigen Rubin, den der Maharadscha zurückhaben wollte. Aber seine Mutter hatte ihn in einem Bankschließfach in Rom versteckt, und als die Mörder sie e r würgt und ihre Leiche in den Tiber geworfen hatten, da hatte sie Yuri mit ihrem letzten röchelnden Atemzug zugerufen, er dürfe niemals verraten, wo der Rubin sei. Er war dann in einen kleinen Fiat gesprungen und seinen Verfolgern in einer spe k takulären Flucht entkommen. Und als er das Juwel geholt ha t te, da hatte er die erstaunlichste Entdeckung gemacht: Es war überhaupt kein Edelstein, sondern ein kleiner Kasten mit e i nem Federschloß und kleinen Scharnieren, und darin lag eine Phiole mit einer Flüssigkeit, die einem ewige Gesundheit und Jugend verlieh.
    Yuri brach plötzlich ab. Ein starkes, flaues Gefühl überkam ihn, und er glaubte schon, ihm werde übel. Panisch redete er weiter und bemühte sich, seinen Ton beizubehalten. »Natü r lich war es zu spät für meine Mutter; sie lag schon tot im Tiber. Aber diese Flüssigkeit kann die ganze Welt retten.«
    Er schaute nach unten. Der Mann lächelte ihn vom Kopfkissen her an; das Haar klebte ihm feucht auf Stirn und Hals, der Hemdkragen war fleckig durchgeschwitzt, und seine Krawatte war gelockert.
    »Könnte sie auch mich retten?« fragte der Mann.
    »O ja«, sagte Yuri. »Ja, nur…«
    »Deine Verfolger haben sie dir abgenommen«, sagte der Mann.
    »Ja. Sie schlichen sich in der Schalterhalle der Bank von hinten an mich heran und rissen mir die Phiole aus der Hand. Ich rannte zum nächsten Sicherheitsposten, nahm seine Pistole und erschoß zwei von ihnen. Aber der dritte rannte mit der Phiole weg. Und das Tragische, das Entsetzliche, jawohl, das Entsetzliche ist, daß er nicht weiß, was er in Händen hält. Er wird das Kästchen wahrscheinlich an irgendeinen Hehler verscherbeln. Er weiß es ja nicht! Der Maharadscha hat den b ö sen Männern nie gesagt, warum er meine Mutter wiederhaben wollte.«
    Yuri verstummte. Wie konnte er so etwas daherreden? Eine Flüssigkeit, die ewige Jugend verlieh? Und hier lag dieser ju n ge Mann todkrank, vielleicht im Sterben, und konnte seinen rechten Arm nicht bewegen, obwohl er immer wieder versuc h te, ihn zu heben. Wie hatte Yuri so etwas erzählen können? Und er dachte an seine eigene Mutter, die tot auf dem kleinen Bett in Serbien lag, und an die Zigeuner, die plötzlich herei n gekommen waren und behauptet hatten, sie seien seine Ve t tern und Onkel! Lügner! Und all der Dreck dort, dieser Dreck…
    Sicher hätte sie ihn niemals, niemals dort zurückgelassen, wenn sie gewußt hätte, was passieren würde. Kalte Wut erfül l te ihn.
    »Erzähle mir vom Palast des Maharadscha«, sagte der Mann leise.
    »Ach ja, der Palast. Nun, er ist ganz aus weißem Marmor…« Große, wohltuende Erleichterung erfüllte Yuri, als er alles beschrieb – Fußböden, Teppiche, Möbel…
    Danach erzählte er noch viele Geschichten von Indien und Paris und von sagenhaften Orten, an denen er gewesen war.
    Als er aufwachte, war es früh am Morgen. Er saß am Fenster, die Arme auf dem Sims verschränkt. So hatte er geschlafen, mit dem Kopf auf den Armen. Das große, weitläufige Rom lag unter einem grauen, dunstigen Licht. Lärm stieg aus den schmalen Straßen herauf. Er hörte das Donnern all der winz i gen Autos, die da hin und her huschten.
    Er schaute zu dem Mann hinüber. Der Mann blickte ihn starr an. Einen Moment lang glaubte Yuri, er sei tot. Dann sagte der Mann leise: »Yuri, du mußt jemanden für mich anrufen.«
    Yuri nickte. Ihm fiel ein, daß er dem Mann nicht gesagt hatte, wie er hieß. Nun, vielleicht hatte er den Namen unwissentlich beim Geschichtenerzählen verraten. Es war nicht so wichtig. Er nahm das Telefon vom Nachttisch, kletterte neben den Mann auf das Bett und nannte der Vermittlung Namen und Nummer. Der Anruf galt einem Mann in London. Als er sich meldete, tat er es auf Englisch, und Yuri wußte, daß es eine kultivierte Stimme war, die er da hörte.
    Yuri übermittelte die Botschaft; der Kranke lag da und sagte ihm leise und kraftlos in italienischer Sprache, was er wollte.
    »Ich rufe für Ihren Sohn Andrew an. Er ist sehr krank. Sehr krank. Er ist im Hotel Hassler in Rom, und er bittet Sie, zu ihm zu kommen. Er sagt, er kann nicht mehr zu Ihnen kommen.«
    Der Mann am anderen Ende wechselte sofort ins Italienische, und das Gespräch ging eine Weile weiter.
    »Nein, Sir«, widersprach Yuri, Andrews Anweisungen

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