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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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überraschend kräftig für eine so alte Hand.
    »Yuri, bitte. Andrew wollte, daß ich dir helfe.«
    »Sie haben ihn sterben lassen! Ein feiner Vater sind Sie! Sie haben dagesessen und ihn sterben lassen!« Yuri stieß den Mann beiseite und wollte hinauslaufen, aber der Mann schlang den Arm um seine Taille und hob ihn hoch.
    »Ich bin nicht wirklich sein Vater, Yuri«, sagte er, stellte Yuri wieder auf die Füße und drückte ihn sanft gegen die Wand. Dann sammelte er sich, zog das Revers seines Jacketts z u recht und seufzte tief. Ruhig sah er Yuri an. »Wir gehören zu einer Organisation. In dieser Organisation sah er mich als se i nen Vater an, aber ich war in Wirklichkeit nicht sein Vater. Und er ist nach Rom gekommen, um hier zu sterben. Es war sein Wunsch, hier zu sterben. Ich habe getan, was er wollte. Hätte er gewollt, daß etwas anderes geschieht, dann hätte er es mir gesagt. Aber er hat mich nur um eines gebeten: Ich soll mich um dich kümmern.«
    Schon wieder Gedankenleserei. So raffiniert, diese Männer! Was sie wohl waren? Eine Bande von reichen Zigeunern? Yuri verzog verächtlich den Mund. Er verschränkte die Arme, boh r te den Absatz in den Teppichboden und schaute den Mann argwöhnisch an.
    »Ich will dir helfen«, sagte der Mann. »Du bist besser als die Zigeuner, die dich gestohlen haben.«
    »Das weiß ich«, sagte Yuri. Er dachte an seine Mutter. »Manche Leute sind eben besser als andere. Viel besser.«
    »Genau.«
    Jetzt abhauen, dachte er. Und er versuchte es, aber wieder bekam der Mann ihn zu fassen und hielt ihn fest. Yuri hatte Kräfte für zehn, und der Mann hier war alt. Aber es nützte ihm nichts.
    »Gib es doch vorläufig auf, Yuri«, sagte der Mann. »Gib so lange auf, bis wir zur Bank gegangen sind und das Schlie ß fach öffnen konnten. Dann können wir entscheiden, was zu tun ist.«
    Und bald darauf weinte Yuri und ließ sich von dem Mann aus dem Hotel und zu dem wartenden Wagen führen, einer edlen deutschen Limousine. Die Bank kam Yuri irgendwie bekannt vor, aber die Leute darin waren Fremde. In neugierigem Staunen sah Yuri zu, wie der weißhaarige Engländer alles erklärte; gleich darauf wurde das Schließfach geöffnet, und Yuri bekam den Inhalt präsentiert – mehrere Pässe, die japanische Uhr seines Vaters, einen dicken Umschlag mit Lire und amerikanischen Dollars und ein Bündel Briefe, von denen mindestens einer an seine Mutter in Rom adressiert war.
    Es erfüllte Yuri mit machtvoller Erregung, diese Dinge zu s e hen, sie zu berühren, in Gedanken wieder dem Augenblick nahe zu sein, da er und seine Mutter hergekommen waren und sie alles in dieses Tresorfach gelegt hatte.
    Die Bankangestellten steckten alles für ihn in braune Umschläge, und dann drückte er diese Umschläge an die Brust.
    Der Engländer führte ihn zurück zum Auto, und wenige Min u ten später hielten sie schon wieder an. In einem kleinen Büro begrüßte der Engländer einen Bekannten. Yuri sah eine K a mera auf einem Stativ. Der Mann winkte ihm, sich davor au f zustellen.
    »Wozu?« fragte er scharf. Noch immer hielt er die braunen Umschläge fest. Wütend starrte er den weißhaarigen Mann und seinen freundlichen Bekannten an, und dieser lachte, als finde er Yuri besonders niedlich.
    »Für einen neuen Paß«, sagte der Engländer auf italienisch. »Von denen, die du hast, ist keiner so recht gültig.«
    »Aber das hier ist kein Paßamt«, sagte Yuri verächtlich.
    »Wir besorgen uns unsere Pässe selbst«, sagte der Englä n der. »So gefällt es uns besser. Wie möchtest du heißen? Oder willst du es mir überlassen? Ich würde mich freuen, wenn du kooperieren wolltest; dann kannst du mit nach Amsterdam kommen und selber sehen, ob es dir gefällt.«
    »Nein«, sagte Yuri. Er mußte daran denken, wie Andrew g e sagt hatte: keinen Arzt. »Keine Polizei!« sagte er. »Keine Wa i senhäuser, keine Klöster, keine Behörden. Nein!« Und er ratterte noch etliche andere Ausdrücke herunter, die er für dergleichen kannte, italienische, rumänische und russische. Sie liefen alle auf das gleiche hinaus: »Kein Gefängnis!«
    »Nein, nichts davon«, sagte der Mann geduldig. »Du kannst mit mir in unser Haus in Amsterdam kommen, und dort kannst du kommen und gehen, wie du willst. Es ist ein sicherer Ort, unser Haus in Amsterdam. Du wirst dein eigenes Zimmer haben.«
    Ein sicherer Ort. Ein eigenes Zimmer.
    »Aber wer sind Sie?« fragte Yuri.
    »Wir nennen uns Talamasca«, sagte der Mann. »Wir sind G e lehrte

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