Tanz der Hexen
ja so.«
Der Mann wollte etwas sagen, aber er fing wieder an zu h u sten. Yuri erstarrte. Er fürchtete plötzlich, der Mann könnte Blut husten. Der Mann zog unbeholfen, als gehe diese Bewegung fast über seine Kraft, ein Taschentuch hervor und bedeckte sein Gesicht damit. Er erschauerte in vollkommener Stille, als schlucke er alles hinunter – Blut, Geräusche, Schmerz. Dann versuchte er auf seltsam unbeholfene, schiefe Art aufzustehen.
Yuri übernahm das Kommando. Er schlang seinen Arm um die schmale Taille des Mannes, zog ihn behutsam hoch und schleppte ihn zwischen den dichtgedrängten Eisentischen mit den schnatternden Touristen hindurch; langsam und geduldig führte er ihn die wunderbar saubere Via Condotti hinauf, vo r bei an den bunten Blumenständen und den offenen Geschä f ten.
Es war jetzt dunkel.
Als sie an dem rauschenden Verkehrsstrom vor der Spanischen Treppe angelangt waren, flüsterte der Mann, gleich oben sei ein Hotel, aber er wisse nicht, ob er es schaffe, die Treppe hinaufzusteigen. Yuri überlegte. Die Taxifahrt außen herum würde sehr lange dauern. Aber es wäre das beste für diesen Mann, denn der Aufstieg über die Treppe könnte ihm wirklich schaden. Yuri winkte ein Taxi heran und gab rasch ein paar Anweisungen.
»Ja, das Hassler«, sagte der Mann mit großer Erleichterung; er ließ sich in den Sitz sinken und verdrehte plötzlich die A u gen, als wolle er an Ort und Stelle sterben.
Aber als sie in das vertraute Foyer traten – Yuri hatte hier als Kind oft gespielt, aber doch nicht oft genug, als daß die hoc h näsig und kritisch blickenden Angestellten ihn wiedererkannt hätten -, erwies sich, daß der Mann hier gar kein Zimmer ha t te, sondern nur ein dickes Bündel italienischer Geldscheine und einen beeindruckenden Stapel internationaler Kreditka r ten. In glattem, mühelosen Italienisch – unterbrochen nur von gelegentlichem Husten – erklärte der Mann, er wolle eine Su i te. Die ganze Zeit lag sein rechter Arm schwer auf Yuris Schu l tern; er stützte sich auf ihn, als würde er sonst den B o den unter den Füßen verlieren.
Oben kippte er aufs Bett und lag lange Zeit schweigend da. Ein schwacher warmer, abgestandener Geruch stieg von ihm auf, und seine Augen schlössen und öffneten sich langsam.
Yuri rief den Roomservice an und bestellte Suppe, Brot, Butter und Wein. Er wußte nicht, was er für diesen Mann sonst noch tun sollte. Der Mann lag da und lächelte ihn an, als finde er etwas an Yuris Benehmen besonders liebenswürdig. Yuri kannte diesen Blick. Seine Mutter hatte ihn oft so angesehen.
Als die Suppe kam, fütterte er den Mann Löffel für Löffel. Es war schön warm im Zimmer. Er hatte nichts dagegen, dem Mann das Weinglas an die Lippen zu halten. Es tat gut, den Mann essen zu sehen.
Erst als ihm ein bißchen Wein über das schlecht rasierte Kinn rieselte, erkannte Yuri, daß der Mann teilweise gelähmt war. Er versuchte, den rechten Arm und die rechte Hand zu bew e gen, aber er konnte es nicht – und richtig, im Cafe hatte er mit links geschrieben, und mit der Linken hatte er unten im Hotel auch das Geld aus der Tasche geholt und dann fallen gela s sen. Der Arm, den er um Yuris Schultern gelegt hatte, war nutzlos und fast nicht zu gebrauchen. Und die eine Gesicht s hälfte war ebenfalls gelähmt.
»Was kann ich für Sie tun?« fragte Yuri auf italienisch. »Soll ich einen Arzt rufen? Sie brauchen einen Arzt. Was ist mit I h rer Familie? Können Sie mir sagen, wie ich sie erreiche?«
»Rede mit mir«, sagte der Mann auf italienisch. »Bleib bei mir. Geh nicht weg.«
»Reden? Aber wieso? Was soll ich denn sagen?«
»Erzähl mir Geschichten«, sagte der Mann leise. »Erzähl mir, wer du bist und woher du kommst. Und sag mir, wie du heißt.«
Yuri dachte sich eine Geschichte aus. Diesmal war er aus I n dien, der Sohn eines Maharadscha. Seine Mutter war mit ihm weggelaufen. In Paris hatte eine Mörderbande sie entführt, und Yuri war ihnen mit knapper Not entronnen. Schnell und leichthin erzählte er das alles, fast ohne Gefühl, und dann merkte er, daß der Mann ihn anlächelte. Der Mann wußte, daß er sich das alles nur ausdachte, und als er lächelte und sogar ein bißchen lachte, fing Yuri an, seine Geschichte noch au s zuschmücken und sie immer fantastischer und ein bißchen albern zu gestalten, mit so überraschenden Wendungen wie möglich, und entzückt sah er die aufblitzende gute Laune in den Augen des Mannes.
Yuris erfundene Mutter hatte
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