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Tanz der Kakerlaken

Tanz der Kakerlaken

Titel: Tanz der Kakerlaken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donald Harrington
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werden, oder etwa doch? Nein, das wollte sie nicht.
    Der enge Korridor, in dem sie während ihrer stundenlangen Unterhaltung gelegen hatten, war eine Weile lang gemütlich und kuschelig gewesen, schließlich aber stickig und feucht geworden. Es roch streng nach Mäusekot, Schneckenschleim und Fliegenspeichel, nach Termiten- und Ameisenfährten. Generationen von Geschöpfen hatten diesen Korridor als Durchgang benutzt, und die penetranten Gerüche überlagerten Tishs Pheromone und wurden durch die immer größer werdende Feuchtigkeit des Regens noch verstärkt; ja, die Welt außerhalb des Heiligen Hauses wurde überflutet, wie die Wetterstation in ihrer Schnüffelrute ihr mitteilte: ein Regen zum Frösche ertränken. Sie liebte Regen und haßte Frösche.
    Sie wünschte, Archy würde sie mit hinaus auf die Veranda nehmen, dieses phantastische architektonische Wunder, das sie noch nie betreten hatte, so daß sie beide dem Regen zusehen könnten, aber sie schlug es nicht vor. Ob er sie wohl mit zu sich nach Hause nehmen würde, in den Frack irgendwo in einem fernen Raum im Heiligen Haus, um sie seinen Brüdern und Schwestern vorzustellen? Vielleicht hatte er Schwestern, die Trost brauchten wegen des Verlustes ihrer Mutter. Wenn Tish sie über ihren Verlust hinwegtröstete, würden diese sie vielleicht ebenfalls trösten. Bei diesem Gedanken hatte sie leise zu weinen angefangen, und schließlich hatte Archy seinen Redeschwall lange genug unterbrochen, um sie zu fragen, warum sie weinte; hatte die Erzählung aus seiner Kindheit und das Ausmalen seiner Träume für eine strahlende Zukunft sie zum Weinen gebracht? Sie konnte ihm nicht erklären, daß sie gerade das Gefühl hatte, niemand sei da, um sie wegen des Westens ihrer Mutter zu trösten. Niemand, der sie tröstete, weil sie leichtfertig ihre Jungfräulichkeit weggeworfen hatte, niemand, der ihr in dieser Zeit des Verlustes, der Anspannung und Verwirrung half, niemand außer Archy, der reden und nur immer weiter reden konnte über die große weite Welt dort draußen, die er erobern wollte.
    Sie war eingeschlafen. Der Tag brach ohnehin an, oder, wenn schon nicht der Tag, weil die Gewitterwolken die Sonne nie durchlassen würden, dann zumindest die Schlafenszeit, die für Knackerlaken fast automatisch einsetzt; nicht jedoch für Archy, der noch eine Zeitlang weiterredete, bevor er merkte, daß sie schlief, und dann selbst einschlief.
    Als sie am Abend erwachte, hatte sie ihm gesagt, daß sie unbedingt nach Carlott zurückmußte, in den Klotz zu ihrer Familie, um nach ihren Brüdern und Schwestern zu sehen. Er hatte darauf bestanden, mit ihr zu gehen, weil es noch immer in Strömen regnete. Sie stellten fest, daß jetzt drei Flüsse durch Carlott und Umgebung flossen, wo vorher kein einziger gewesen war, und zweifellos hätte es Tish niemals geschafft, ohne Archys Hilfe diese Flüsse zu durchqueren. Er half ihr hindurchzuschwimmen und baute an der schlimmsten Strömungsstelle ein Floß aus Unkrautstengeln, auf dem er sie beide hinüberschiffen konnte. Das Wasser reichte fast bis zum Podium, und die meisten alten Autoteile und Gerätschaften auf dem Boden waren überschwemmt. Das Wasser stand bis zu den Radkappen von des Herrn fahrtüchtigem Fahrzeug, Seinem Ford Torino. Einige der Behausungen von Carlott waren überflutet oder fortgespült, und die Flüchtlinge, Tishs Nachbarn, rannten verwirrt und angsterfüllt auf höher gelegenen Flecken über dem Dorf hin und her. In der Ferne konnte sie ihr Zuhause sehen: Der Klotz war nicht überschwemmt, aber die Wellen schlugen an seine Tür.
    »Du gehst jetzt besser nach Hause, bevor dieser Regen noch schlimmer wird«, sagte sie zu Archy.
    »Aber es wär mir ein Vergnügen, deine Mutter kennenzulernen«, protestierte Archy.
    »Meine Mama ist im Westen, genau wie deine«, erklärte Tish.
    »Meine?« sagte er. »Wie kommst du darauf, daß meine Mutter im Westen ist?«
    »Das hast du nicht gesehn ?« fragte Tish und merkte jetzt, zu spät, daß er in der Tat die Erschießung von Ila Frances Tichborne nicht mitbekommen und keine Ahnung gehabt hatte, daß seine Mutter im Westen war. Sollte sie es ihm sagen? Ja, es war wohl besser: »Letzte Nacht, hast du's denn nicht mitgekriegt, hat die zweite Kugel des Herrn deine Mama getroffen und sie entrückte.«
    »Nein!« rief Archy aus. »Sag so was nicht! Wann hast du davon gehört?«
    »Ich hab's nicht gehört«, sagte sie. »Ich meine, ich hab's nicht nur gehört. Ich hab's auch

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