Tanz der Kakerlaken
aufsagt, aber da sie an Gedichte denkt, wird sie nicht völlig unvorbereitet sein auf das, was sie im Haus, in Larrys Arbeitszimmer, in seiner Schreibmaschine finden wird: ein Gedicht. Sie wird natürlich gewußt haben, daß er sich manchmal selbst an Gedichten versuchte, wenn er nicht gerade welche analysierte, und sie wird, noch bevor sie es gelesen haben wird, annehmen, daß dieses Gedicht hier von ihm selber stammt. Seine schwarze IBM Selectric wird noch eingeschaltet sein und leise vor sich hin brummen. Sie wird sie mit der Hand berühren, und diese Bewegung wird zur Folge haben, daß eine gewaltige Kakerlake auffliegen wird. Dies wird nicht, kann nicht Alfonse sein; auch nicht diejenige, die sie aus der Mülltüte befreit haben wird, oder irgendeine andre Schabe, die sie jemals gesehen haben wird; sie wird viel zu groß sein, und obwohl sie gestern erst festgestellt haben wird, daß Kakerlaken wirklich fliegen können, wird diese hier überall herumfliegen wie ein Vogel, wie eine Fledermaus, und sie wird viel mehr Angst vor ihr haben als vor irgendeinem Insekt, das sie je zuvor gesehen hat. Aber schließlich wird es durch die Tür wegfliegen, und sie wird das Tier nie wiedersehen.
Sie wird sich noch ein weiteres Mal erschrecken, bevor sie das Gedicht wird lesen können. Sie wird eine Maus sehen. Wäre es eine schwarze oder eine graue Maus, würde sie das auffahren und zusammenzucken lassen, aber es wird eine weiße Maus sein, und sie wird kein gänzlich Unbekannter für sie sein, denn es wird dieselbe Maus sein, die die Horde von Kakerlaken bei ihrem Hinweispfeil und Hilferuf angeführt hat.
Die weiße Maus wird in der Nähe von Larrys Schreibtisch auf dem Boden sitzen und sie mit zuckenden Barthaaren und schnuppernder Nase anblicken. Und dann wird auch sie, wie zuvor die riesige Schabe, ihrer Wege ziehen.
Sharon wird ihren Blick wieder auf das Gedicht richten, den Titel betrachten und dann zu lesen beginnen.
Wir werden sie lesend an Larrys Schreibtisch stehen sehen. Fast wird es wie ein Gemälde von Vermeer sein. Die reizende Dame, das wundervolle Licht der Morgensonne, das ihr Gesicht und ihre Hände und das strahlend weiße Blatt Papier zu liebkosen scheint. Sie wird lesen. Sie wird lächeln.
Und wenn sie zu Ende gelesen haben wird, wird sie den Blick von dem Gedicht in der Schreibmaschine heben und zu dem Haus sagen: »Larry?«
Imago: Das Lied der Mackerlake
Wenn Mann Kakerlak wär und Kakerlak Mann,
so wären ihre Themen dann:
Überleben, Treue, Liebesglück.
Wir hoffen, kehrst du mal zurück,
liest du dies Märchen umgekehrt
und machst die Welt minder verderbt.
Wir sind der Abschaum deiner widrigen
Verachtung – häßlich, niedrig,
doch nichts, das ausgemerzt gehört.
Du hast dir fast den Fuß zerstört,
wärst ohne uns im Westen längst.
Bevor du dir den Arsch wegsprengst,
bleib, nimm uns an, werde verständig.
Wir kennen dich in- und auswendig.
Wir speisen deinen Nektar, deinen Kot,
und das nicht nur aus schnöder Not.
Du denkst, du schmachtest vor Liebe und Gram?
Bedenke doch, wie klein und arm
wir sind, deine ungeliebten Genossen:
Unser Herz ist dein. Bleibt deins verschlossen?
Es heißt, deine Welt wird untergehn
und unsere dauern. Nein, nie wird's geschehn,
keine Hymne ohne Menschen.
Du brauchst uns, wir brauchen dich.
Lerne zu lieben, wie wir dich zu bekehren
zu einem Gott zum Glauben und Verehren.
Läute Bomm und Bäh zu Schall und Rauch.
Du lebst, wir sind, du stirbst, wir auch.
Verdamm die Tabus in stumme Höllenregionen.
In Purpursympathie wollen wir beide dann wohnen.
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