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Tanz der Kakerlaken

Tanz der Kakerlaken

Titel: Tanz der Kakerlaken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donald Harrington
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gräßlichen Geruch der Spuren und Hinterlassenschaften all der Geschöpfe, die in den Ritzen und Spalten herumkrabbelten. Sie schilderte das Heilige Haus als einen wundervollen und scheußlichen Ort zugleich, und die Kinder hörten ihr mit aufgesperrten Glossae und zuckenden Schwanzreifen zu.
    Sie hätten den ganzen Leichenschmaus aufgegessen, wenn Tish nicht buchstäblich eine Grenze gezogen hätte, die keiner überschreiten durfte. Sie erklärte, daß diejenigen, für die der Leichenschmaus gedacht war, nämlich für ihre Mutter und ihren Vater, einen Anteil vom Essen abbekommen sollten und das, was übrigblieb, aufgehoben werden sollte, um es den Überlebenden derjenigen darzubringen, die in der Nacht zuvor im Heiligen Haus verwestert worden waren, einschließlich Nancy Whitter, Luke Whitters verstoßenem Eheweib und jetzigen Witwe, und den Kindern von IIa Frances Tichborne, darunter Archy. Archy würde sie das letzte Bröckchen Erdnußkrockwand persönlich überreichen.
    Fast bis zum Morgengrauen redete Tish und unterhielt ihre Geschwister; dann schickte sie sie alle ins Bett. Sie mußte nachdenken, mußte sich vergegenwärtigen, was mit ihr geschehen war, und sich vorbereiten auf das, was daraus entstehen mochte. Das Schicksal-Ding hatte Pläne für sie, aber sie mußte auch ihre eigenen machen. Das Schicksal-Ding kann Pläne für dich machen, aber du mußt sie ausführen…es sei denn, du versuchst, Pläne auszuführen, die das Schicksal-Ding nicht für dich gemacht hat: Dann wird das Schicksal-Ding dich stoppen.
    Da war diese Murmel von Junker Sam, in ihrem Eierstock eingebettet und festgehalten. Wie war sie dorthin gelangt? Träumerisch erinnerte sich Tish an die langen Stunden der Vereinigung, das angenehme Hin und Her und Auf und Ab zwischen dem Widerstand gegen das Gepacktwerden und dem Nachgeben, während sich die dazugehörige notwendige Spannung langsam zum Höhepunkt aufbaute. Sie überdachte Form und Wesen all der Fesselungsapparate, Sams natürliche anatomische Ketten und Zwingen, Schnallen und Schellen, die Tishs natürliche anatomische Bolzen und Spangen, Haken und Klinken ergriffen und umklammert und sie fest und stramm gehalten hatten.
    Warum war diese Fesselung nötig? Mußte der weibliche Partner gebändigt werden, oder wollte sie gebändigt werden? Zu keinem Zeitpunkt während der Prozedur hatte Tish den echten Wunsch gehabt, sich zu lösen und zu verschwinden. Warum also hatte der Mann ihren und Sams Körper mit all diesen Haltern und Verschlüssen erschaffen? Warum war es so angenehm, ergriffen, gepackt, umklammert, gehalten zu werden?
    Festhalten ist alles. Alles: Halten ist der Wunsch, gehalten zu werden. Gehalten zu werden ist Halten. Ergreifen ist Entzücken. Liebe machen war wie Geschichten machen, dachte Geschichtenerzählerin Tish. Die Geschichte entzückt und ergreift zugleich. Der Geschichtenerzähler will ergriffen werden, wie der Liebende geliebt werden will. Die genitale Zwinge fesselt, wie die Geschichte fesselt. Die Geschichte erwartet einen Widerstand, und der Widerstehende zweifelt, um überzeugt zu werden. Das Zurückhalten, der Widerstand, das Nachgeben und die Verführung …
    Tish spürte, wie ihr Osterei in ihr heranwuchs, aus dem Nichts entstanden, wie eine Geschichte aus dem Nichts entsteht, der Notwendigkeit unterworfen, durch die Berührung des anderen befruchtet zu werden: Sams Murmel gab die erste von vielen Kopien seiner selbst frei, die in ihr enthalten waren, viele Baby-Ingledews, die ein Familientreffen mit ihren lange verschollenen Dingletoon-Vettern feierten. Auch wenn sie nie im Parthenon würde wohnen können, wohnte der Parthenon jetzt in ihr.
    Und begann sich auszudehnen.
    Ihre Gedanken wurden von einer seltsamen Empfindung unterbrochen, einer schaukelnden Bewegung, einem wankenden Gefühl in ihren sechs empfindlichen Kniegelenken, welches ihr mitteilte, daß das Substratum heftig angehoben wurde. Fühlt sich so die Schwangerschaft an? fragte sie sich. Brachte die Ausdehnung des Ostereis den Boden zum Kippen?
    »Tish!« schrie Jubal und stürzte in ihren Raum und ihre Träume. »Unser Haus schwimmt weg!«
     
    23.
    »Gottheit über meinem Mann, bist du noch da?« flüsterte Chid und horchte, hörte aber nichts außer dem endlosen monotonen Trommeln des Regens auf den Dachschindeln. Dieses Geräusch war so laut, weil er so dicht darunter saß, ganz oben neben den Dachsparren, an dem Ort, den er als sein privates, geheimes und sicheres Refugium

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