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Tanz der seligen Geister (German Edition)

Tanz der seligen Geister (German Edition)

Titel: Tanz der seligen Geister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Wiedersehen? Wohl eher nicht. Sie saß in ihrem hohen Bett, mit zartem, braunem Hals, der aus dem zu großen Krankenhausnachthemd ragte, mit braunem, holzgeschnitztem Gesicht, das gegen Verrat gefeit war, in Gedanken vielleicht schon nicht mehr bei ihrer Opfergabe, darauf gefasst, gemieden und zu Gesprächsstoff zu werden, wie schon auf der Schulveranda.

Jungen und Mädchen
    Mein Vater war Fuchsfarmer. Das heißt, er züchtete Silberfüchse, in Verschlägen; im Herbst und im frühen Winter, wenn ihr Pelz am dichtesten war, tötete er sie, häutete sie und verkaufte ihre Felle an die Hudson Bay Company oder die Montreal Fur Traders. Diese Firmen versorgten uns mit heroischen Wandkalendern, die auf beiden Seiten der Küchentür hingen. Vor einem Hintergrund aus kaltem blauen Himmel, schwarzen Nadelwäldern und heimtückischen nördlichen Flüssen pflanzten federgeschmückte Abenteurer die Flagge Englands oder Frankreichs auf; ebenmäßige Wilde beugten den Rücken unter Lasten.
    In den Wochen vor Weihnachten arbeitete mein Vater im Keller unseres Hauses. Der Keller war weiß getüncht und wurde von einer Hundert-Watt-Birne über dem Arbeitstisch erhellt. Mein Bruder Laird und ich saßen oben auf der Kellertreppe und sahen ihm zu. Mein Vater zog die Haut von innen nach außen ab, und der Fuchs sah ohne seinen arroganten, gewichtigen Pelz überraschend klein und kümmerlich aus, fast wie eine Ratte. Die nackten, glitschigen Körper wurden in einen Sack gesteckt und in der Müllecke verbuddelt. Einmal hatte Henry Bailey, unser Tagelöhner, mit diesem Sacknach mir geschlagen und dazu gesagt: »Weihnachtsgeschenk!« Meine Mutter fand das nicht komisch. Sie hatte eine regelrechte Abneigung gegen das ganze Pelzen – so hieß das Töten, das Abhäuten und Zurichten der Felle – und war gar nicht davon angetan, dass es im Haus stattfinden musste. Da war der Geruch. Nachdem das Fell mit der Innenseite nach außen auf ein langes Brett gespannt worden war, schabte mein Vater es behutsam ab, entfernte die kleinen geronnenen Netze der Blutgefäße und die Fettklümpchen; der Geruch nach Blut und Tierfett, dazu der starke, primitive Eigengeruch des Fuchses durchdrangen das ganze Haus. Für mich waren sie eine beruhigende Bestätigung der Jahreszeit, wie der Duft von Apfelsinen und Tannennadeln.
    Henry Bailey litt an bronchialen Beschwerden. Oft hustete er und hustete, bis sein schmales Gesicht scharlachrot anlief und seine hellblauen, spöttischen Augen sich mit Tränen füllten; dann nahm er die Platte vom Herd, trat zurück und spie einen großen Klumpen Schleim – hsss – direkt ins Herz der Flammen. Wir bewunderten ihn für dieses Kunststück, auch dafür, dass er seinen Magen auf Befehl knurren lassen konnte, und für sein Lachen, das voll hoher Pfeiftöne und Gurgelgeräusche war und an dem sein gesamter defekter Atmungsapparat beteiligt war. Manchmal ließ sich schwer sagen, worüber er lachte, und es konnte jederzeit sein, dass er über uns lachte.
    Nachdem wir zu Bett geschickt worden waren, konnten wir immer noch die Füchse riechen und Henrys Gelächter hören, aber diese Dinge aus der warmen, sicheren, hellerleuchteten unteren Welt wirkten verloren und geschwächt, wenn sie in der muffigen kalten Luft oben schwebten. Wir hatten nachts im Winter Angst. Wir hatten nicht vor dem Draußen Angst, obwohl das die Jahreszeit war, in der sich Schneewehen wie schlafende Wale um das Haus legten und der Wind, der von den begrabenen Feldern, dem gefrorenen Sumpf mit seinem Schreckgespenstgeheul von Gefahren und Elend kam, uns die ganze Nacht lang plagte. Wir hatten Angst vor dem Drinnen, dem Raum, in dem wir schliefen. Damals war das Obergeschoss in unserem Haus noch nicht fertig. Ein gemauerter Schornstein ging an einer Wand hoch. In der Mitte des Fußbodens war ein quadratisches Loch mit einem hölzernen Geländer darum herum; dort kam die Treppe an. Auf der anderen Seite des Treppenschachtes befanden sich die Dinge, die niemand mehr gebrauchen konnte – eine soldatisch aufrecht stehende Linoleumrolle, ein Kinderwagen aus Korbgeflecht, eine Farnampel, Porzellankrüge und -schüsseln, die einen Sprung hatten, ein Bild der Schlacht von Balaklawa, das sehr traurig anzusehen war. Ich hatte Laird, sobald er alt genug war, um derlei zu verstehen, erzählt, dass da drüben Fledermäuse und Skelette hausten; jedes Mal,wenn ein Häftling aus dem zwanzig Meilen entfernten Bezirksgefängnis entflohen war, stellte ich mir vor, dass

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