Tanz der seligen Geister (German Edition)
Da Mack und Flora schon so lange im Stall waren, hatte ich fast vergessen, dass sie erschossen werden sollten.
Henry antwortete nicht. Stattdessen fing er mit hoher, zittriger, gespielt trauriger Stimme an zu singen: »Ach, es gab nichts mehr zu tun für den armen Onkel Ned, er ging da hin, wohin alle guten Schwarzen gehn.« Macks dicke, schwärzliche Zunge bearbeitete sorgfältig Lairds Hand. Ich ging hinaus, bevor das Lied zu Ende war, und setzte mich auf die Gangway.
Ich hatte nie gesehen, wie sie ein Pferd erschossen, aber ich wusste, wo es getan wurde. Im vorigen Sommer waren Laird und ich auf Pferdeeingeweide gestoßen, bevor sie verbuddelt worden waren. Wir hatten sie für eine große schwarze Schlange gehalten, die sich in der Sonne zusammengerollt hatte. Das war auf der Wiese hinter der Scheune gewesen. Ich dachte, wenn wir in die Scheune gingen und einen breiten Spalt oder ein Astloch fänden, könnten wir sehen, wie sie es taten. Nicht, dass ich es unbedingt sehen wollte; trotzdem, wenn etwas sowieso geschah, dann war es besser, es mit anzusehen und Bescheid zu wissen.
Mein Vater kam mit dem Gewehr vom Haus herunter.
»Was macht ihr hier?«, fragte er.
»Nichts.«
»Los, geht und spielt beim Haus.«
Er schickte Laird aus dem Stall. Ich sagte zu Laird: »Willst du sehen, wie sie Mack erschießen?«, und führte ihn, ohne auf Antwort zu warten, zur Vordertür der Scheune, machte sie vorsichtig auf und ging hinein. »Sei still, sonst hören sie uns«, sagte ich. Wir hörten Henry und meinen Vater im Stall reden, dann die schweren, schleppenden Huftritte von Mack, der aus seiner Box herausgezogen wurde.
Auf dem Heuboden war es kalt und dunkel. Dünne, sich kreuzende Sonnenstrahlen fielen durch die Spalten. Von dem Heu war nicht mehr viel da. Es bildete ein welliges Gelände mit Bergen und Tälern und war rutschig unter unseren Füßen. In einer Höhe von etwa vier Fuß lief ein Balken ringsum an den Wänden entlang. Wir häuften Heu in einer Ecke auf, ich schob Laird hoch und kletterte dann selbst hinauf. Der Balken war nicht sehr breit; wir schlichen darauf entlang und pressten die Hände flach an die Scheunenwand. Es gab viele Astlöcher, und ich fand eins, das mir die gewünschte Sicht bot – eine Ecke des Hofes, das Tor, ein Teil der Wiese. Laird hatte kein Astloch und beklagte sich.
Ich zeigte ihm eine breitere Spalte zwischen zwei Brettern. »Sei still und warte. Wenn sie dich hören, bringst du uns in Schwierigkeiten.«
Mein Vater kam mit dem Gewehr in Sicht. Henry führte Mack am Halfter. Er ließ es fallen und holte seinen Tabak und die Blättchen hervor; er rollte Zigaretten für meinen Vater und sich. Während das vor sich ging, schnupperte Mack im alten, abgestorbenen Gras am Zaun herum. Dann machte mein Vater das Tor auf, und sie führten Mack hindurch. Henry brachte Mack vom Pfad weg zu einer bestimmten Stelle und redete mit meinem Vater, aber so leise, dass wir es nicht hören konnten. Mack suchte wieder nach einem Maulvoll frischem Gras, das nicht zu finden war. Mein Vater ging ein paar Schritte fort und blieb in einer Entfernung, die ihm zu passen schien, stehen. Henry ging auch von Mack weg, aber zur Seite, und hielt dabei das Halfter locker in der Hand. Mein Vater hob das Gewehr, Mack sah hoch, als hätte er etwas bemerkt, und mein Vater erschoss ihn.
Mack brach nicht gleich zusammen, sondern schwankte, taumelte und fiel auf die Seite; dann rollte er auf den Rücken und strampelte erstaunlicherweise ein paar Sekunden lang mit den Beinen. Darüber lachte Henry, als führte Mack ihm ein Kunststückchen vor. Laird, der vor Schreck laut die Luft eingesogen hatte, als der Schuss abgefeuert wurde, sagte laut: »Er ist gar nicht tot.« Und mir kam es vor, als könnte er recht haben. Aber die Beine hörten auf, er rollte wieder auf die Seite, seine Muskeln zitterten und erschlafften.Die beiden Männer gingen zu ihm und betrachteten ihn abschätzend; sie beugten sich vor und prüften seine Stirn, wo die Kugel eingetreten war, und jetzt sah ich das Blut auf dem braunen Gras.
»Jetzt häuten sie ihn bloß noch und schneiden ihn in Stücke«, sagte ich. »Gehn wir.« Meine Beine waren etwas zittrig, und ich sprang dankbar in das Heu hinunter. »Jetzt hast du gesehen, wie sie ein Pferd erschießen«, sagte ich, als gratulierte ich ihm und als hätte ich es schon viele Male gesehen. »Komm, wir schauen mal, ob eine Katze hier oben im Heu Junge gekriegt hat.« Laird sprang. Er schien wieder
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