Tanz der seligen Geister (German Edition)
Jahre älter als ich, und in meiner Erinnerung war er schon immer ein erwachsener Mann.
Als ich ihn früher auf der Straße sah, kam er mir alt vor oder zumindest so alt wie die meisten Erwachsenen. Er ist einer jener Menschen, die in ihrer Jugend älter aussehen, als sie sind, und im Alter dann jünger. Man konnte ihn oft im Queen’s Hotel antreffen. Da er ein MacQuarrie war, musste er nie hart arbeiten, er hatte ein kleines Büro, war als Notar tätig und ein bisschenauch als Versicherungsagent und Immobilienmakler. Er hat dieses Büro immer noch, das Schaufenster ist stets trüb und staubig, und im Hinterzimmer, wo sommers und winters Licht brennt, sitzt eine ungefähr achtzig Jahre alte Dame, Miss Maitland, die seine Schreibarbeiten erledigt oder was er ihr sonst zu tun gibt. Wenn er nicht im Queen’s Hotel ist, sitzt er mit einem oder zweien seiner Freunde um den Heizlüfter, sie spielen ein bisschen Karten, trinken ein wenig, aber meistens unterhalten sie sich nur. Es gibt eine bestimmte Sorte von Männern in Jubilee wie vermutlich auch in jeder anderen Kleinstadt, die man öffentliche Männer nennen könnte. Ich meine nicht Personen der Öffentlichkeit, wichtig genug, um für das Parlament oder sogar als Bürgermeister zu kandidieren (obwohl Clare das tun könnte, wenn es ihm mit etwas ernst wäre), lediglich Männer, die sich oft auf der Hauptstraße ergehen und deren Gesichter jeder kennt. Clare und seine Freunde gehören dazu.
»Ist er mit seiner Schwester da unten?«, fragte Mama, als hätte ich es ihr nicht erzählt. Viele meiner Gespräche mit Mama sind Wiederholungen. »Wie ist noch gleich ihr Rufname?«
»Porky«, sagte ich.
»Ja, ich weiß noch, dass ich dachte, komischer Name für eine erwachsene Frau. Und ich erinnere mich noch, wie sie getauft wurde, auf den NamenIsabelle. Lange vor meiner Heirat, ich sang damals noch im Kirchenchor. Sie hatten ihr eines dieser langen, reich verzierten Taufkleidchen angezogen, du weißt schon.« Mama hatte eine Schwäche für Clare, aber nicht für die MacQuarrie-Familie. Sie fand, sie waren hochnäsig, wenn sie nur Luft holten. Ich weiß noch, wie wir vor ein oder zwei Jahren an ihrem Haus vorbeigingen und sie sagte, wir sollten aufpassen, nicht auf den Rasen vom Herrenhaus zu treten, und ich ihr antwortete: »Mama, in ein paar Jahren werde ich hier wohnen, das wird mein Haus sein, also hör lieber auf, es in diesem Tonfall das Herrenhaus zu nennen.« Wir sahen zusammen hoch zu dem Haus mit all seinen dunkelgrünen Fenstermarkisen, die mit einem großen weißen altenglischen M verziert sind, mit all den Veranden und dem Farbglasfenster in der Seitenwand wie bei einer Kirche. Kein Lebenszeichen, aber oben lag die alte Mrs. MacQuarrie und tut es noch, sie ist halbseitig gelähmt und kann nicht sprechen, Willa Montgomery versorgt sie tagsüber, und Clare nachts. Fremde Stimmen im Haus regen sie auf, und jedes Mal, wenn Clare mich mit ins Haus nahm, konnten wir nur flüstern, damit sie mich nicht hörte und einen Krampfanfall bekam. Mama betrachtete das Haus, dann sagte sie: »Komisch, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dein Name MacQuarrie sein wird.«
»Ich dachte, du hast Clare sehr gern.«
»Hab ich auch, aber ich seh ihn bloß, wie er dich Samstagabend abholt und wie er Sonntagabend zum Essen kommt, ich seh dich einfach nicht mit ihm verheiratet.«
»Wart’s doch ab, was passiert, wenn die alte Dame die Augen schließt.«
»Hat er dir das gesagt?«
»So ist es abgemacht.«
»Man stelle sich vor«, sagte Mama.
»Du brauchst nicht so zu reden, als täte er mir einen Gefallen, denn ich kann dir versichern, es gibt viele Leute, die das andersrum sehen.«
»Kann ich nicht den Mund aufmachen, ohne dass du gekränkt bist?«, sagte Mama sanft.
Clare stahl sich mit mir an den Samstagabenden immer zur Seitentür hinein, und in der hohen, altmodischen Küche machten wir uns Kaffee und etwas zu essen, waren dabei so leise und verstohlen wie zwei Kinder nach der Schule. Dann schlichen wir auf Zehenspitzen die Hintertreppe hinauf in Clares Zimmer und stellten den Fernseher an, damit sie dachte, er sei allein und schaue fern. Wenn sie ihn rief, lag ich alleine in dem großen Bett, sah mir an, was im Fernsehen lief oder betrachtete die alten Fotos an der Wand – er als Torhüter der Highschool-Hockeymannschaft, Porky in ihrer Aufmachung für die Schulabschlussfeier, er und Porky mit Freunden, die ich nicht kannte, in den Ferien. Wenn sie ihn lange
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