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Tanz der seligen Geister (German Edition)

Tanz der seligen Geister (German Edition)

Titel: Tanz der seligen Geister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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festhielt und ich mich langweilte, ging ich im Schutz der Fernsehgeräusche hinunter und nahm mir noch Kaffee. (Ich trank nie etwas Stärkeres, das überließ ich Clare.) Nur mit der Küchenlampe als Lichtquelle ging ich ins Wohnzimmer, zog die Schubladen auf und betrachtete die Tischwäsche, öffnete den Geschirrschrank und die Silberkommode und kam mir vor wie ein Dieb. Aber ich dachte, warum soll ich das und den Namen MacQuarrie nicht genießen, wenn ich doch nichts weiter zu tun brauche als das, was ich ohnehin tue? Clare sagte: »Heirate mich«, bald nachdem wir anfingen, miteinander auszugehen, und ich sagte: »Lass mich in Ruhe, ich mag nicht ans Heiraten denken«, und er ließ es. Als ich es von mir aus zur Sprache brachte, all die Jahre später, schien er sich zu freuen. Er sagte: »Gibt nicht viele alte Büffel wie mich, zu denen ein hübsches Mädchen wie du sagt, sie will sie heiraten.« Ich dachte, wenn ich erstmal verheiratet bin, dann gehe ich in King’s Warenhaus, lass mich von Hawes bedienen und scheuche ihn herum, den alten Armleuchter. Am liebsten würde ich ihm die Hölle heiß machen, aber ich werde mich zurückhalten, der guten Manieren wegen.
    »Ich nehme jetzt diese Postkarte und tu sie in mein Kästchen«, sagte ich zu Mama. »Und ich kann mir nichts Besseres für diesen Nachmittag vorstellen, alsdass wir beide ein Nickerchen machen.« Ich ging nach oben und zog meinen Morgenrock an (chinesisch und bestickt, ein Geschenk von Clare). Ich cremte mir das Gesicht ein und holte das Kästchen hervor, in dem ich Postkarten, Briefe und andere Erinnerungsstücke aufbewahre, und legte die Karte zu den Florida-Postkarten vergangener Jahre und einigen aus Banff, Jasper, dem Grand Canyon und dem Yellowstone-Park. Um die Zeit zu vertrödeln betrachtete ich dann meine Schulfotos und -zeugnisse und das Programm von H. M. S. Pinafore , der Operette, die wir in der Highschool aufgeführt hatten und in der ich die Heldin gespielt hatte, wie heißt sie noch, die Tochter des Kapitäns. Ich kann mich erinnern, dass Clare mir auf der Straße entgegenkam und mir dazu gratulierte, wie gut ich gesungen und wie hübsch ich ausgesehen hatte, und dass ich ein bisschen mit ihm flirtete, einfach weil er mir so alt und ungefährlich vorkam und weil ich so stolz auf mich war, dass ich lieber flirtete als ihn stehenzulassen. Wie groß wäre wohl meine Überraschung gewesen, wenn ich gesehen hätte, was alles geschehen würde? Damals war ich sogar Ted Forgie noch nicht begegnet.
    Ich erkannte seinen Brief schon am Umschlag und hatte ihn seit Jahren nicht mehr gelesen, aber aus reiner Neugier entfaltete ich ihn und fing an zu lesen. Normalerweise hasse ich es, einen Brief mit der Schreibmaschine zu schreiben, weil ihm dann die persönliche Note fehlt, aber ich bin heute Abend von all den ungewohnten Belastungen hier so erschöpft, dass ich hoffe, Du wirst mir verzeihen. Ob mit der Schreibmaschine geschrieben oder nicht, früher brauchte ich diesen Brief nur anzuschauen, damit ein Gefühl von Liebe – wenn man es so nennen will – in mir aufstieg, das stark genug war, um mich völlig zu überwältigen. Ted Forgie war sechs Monate lang Ansager beim Radiosender von Jubilee, um die Zeit herum, als ich die Highschool abschloss. Mama sagte, er sei zu alt für mich – von Clare sagte sie das nie –, dabei war er erst vierundzwanzig. Er hatte zwei Jahre mit TB in einem Sanatorium zugebracht, und das hatte ihn älter gemacht, als er eigentlich war. Wir gingen immer auf Sullivan’s Hügel, und er sprach davon, wie er mit dem Tod vor Augen gelebt hatte und dass er den Wert der Nähe eines anderen Menschen kenne, aber nur Einsamkeit gefunden habe. Er sagte, am liebsten würde er den Kopf in meinen Schoß legen und weinen, aber während er das sagte, tat er etwas ganz anderes. Als er fortging, wurde ich zur Schlafwandlerin. Ich wachte erst nachmittags auf, dann ging ich zum Postamt und machte mit weichen Knien das Fach auf, um nachzusehen, ob ein Brief für mich da war. Aber es war nie einer da, nach diesem einen. Bestimmte Orte machten mir zu schaffen, Sullivan’s Hügel, der Radiosender, das Café im Queen’s Hotel. Ichweiß nicht, wie viele Stunden ich in diesem Café damit verbrachte, im Kopf jedes Gespräch mit ihm zu wiederholen und mir jeden Ausdruck auf seinem Gesicht in Erinnerung zu rufen, ohne wirklich zu begreifen, dass Wünschen ihn nicht wieder zur Tür hereinbringen würde. Da drin freundete ich mich mit Clare

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