Tanz der seligen Geister (German Edition)
vorüberzog, aus Angst, unmanierliches Vorbeihasten zu sehen. Als die Musik aussetzte, blieb ich stehen, hob halb den Blick und sah einen Jungen namens Mason Williams widerwillig auf mich zukommen. Kaum meine Taille und meine Hand berührend, begann er mit mir zu tanzen. Meine Beine waren hohl, mein Arm zitterte von der Schulter abwärts, und ich hätte kein Wort herausgebracht. Dieser Mason Williams war einer der Helden der Schule; er spielte Basketball und Hockey und durchschritt die Korridore mit einer Miene königlicher Verdrossenheit und grausamer Verachtung. Mit einem solchen Niemand wie mir tanzen zu müssen war für ihn ebenso beleidigend, wie Shakespeare auswendig lernen zu müssen. Ich spürte das genauso deutlich wie er und nahm an, dass er mit seinen Freunden angewiderte Blicke tauschte. Er steuerte mich stolpernd zum Rand der Tanzfläche. Er nahm die Hand von meiner Taille und ließ meinen Arm fallen.
»Bis dann«, sagte er und ging weg.
Ich brauchte ein oder zwei Minuten, um zu begreifen, was geschehen war und dass er nicht zurückkommen würde. Ich ging und stand allein an der Wand. Die Turnlehrerin, die schwungvoll in den Armen eines Jungen aus der zehnten Klasse vorbeitanzte, warf mir einen forschenden Blick zu. Sie war die einzige Lehrerin in der Schule, die den Ausdruck »sozialer Ausgleich« benutzte, und ich hatte Angst, dass sie, falls sie es mitbekommen hatte oder davon erfuhr, einen grauenhaften öffentlichen Versuch unternehmen könnte,Mason zu zwingen, den Tanz mit mir zu beenden. Ich selbst war weder wütend auf ihn noch von ihm enttäuscht; ich akzeptierte seine wie auch meine Stellung in der Welt der Schule, und ich sah ein, er hatte das einzig Realistische getan. Er war ein geborener Held, nicht wie die Klassensprecher, denen nach der Schule eine große Karriere winkte; einer von denen hätte höflich und herablassend mit mir getanzt, ohne dass es mir danach bessergegangen wäre. Trotzdem hoffte ich, dass so gut wie niemand es gesehen hatte. Ich hasste es, unangenehm aufzufallen. Ich kaute auf meinem Daumennagel herum.
Als die Musik aufhörte, gesellte ich mich zu den Mädchen am Ende der Turnhalle. Tu so, als sei nichts passiert, sagte ich zu mir. Tu so, als fange es jetzt erst an.
Die Kapelle begann wieder zu spielen. In die dichte Menge an unserem Ende der Tanzfläche geriet Bewegung, sie dünnte rasch aus. Jungen kamen herüber, forderten Mädchen auf. Lonnie ging tanzen. Das Mädchen auf meiner anderen Seite ging tanzen. Niemand forderte mich auf. Ich erinnerte mich an einen Illustriertenartikel, den Lonnie und ich gelesen hatten, in dem es hieß: Sei fröhlich! Die Jungen sollen den Glanz in deinen Augen sehen, das Gelächter in deiner Stimme hören! Einfach und einleuchtend, aber wie viele Mädchen vergessen es! Was stimmte, ich hatte es vergessen.Meine Augenbrauen waren vor lauter Spannung zusammengezogen, ich sah bestimmt verängstigt und hässlich aus. Ich holte tief Luft und versuchte, mein Gesicht loszulassen. Ich lächelte. Aber es kam mir absurd vor, ins Leere zu lächeln. Ich sah, dass Mädchen auf der Tanzfläche, beliebte Mädchen, nicht lächelten; viele von ihnen hatten müde, mürrische Gesichter und lächelten überhaupt nicht.
Mädchen gingen immer noch auf die Tanzfläche hinaus. Einige gingen, die Hoffnung aufgebend, miteinander. Aber die meisten gingen mit Jungen. Dicke Mädchen, Mädchen mit Pickeln, ein armes Mädchen, das kein gutes Kleid besaß und in Rock und Pullover auf den Ball gekommen war; sie alle wurden aufgefordert, sie alle tanzten. Warum die und ich nicht? Warum alle anderen und ich nicht? Ich habe ein rotes Samtkleid, ich habe mir die Haare aufgedreht, ein Deodorant benutzt und Parfüm aufgelegt. Bete, dachte ich. Ich konnte schlecht die Augen schließen, aber ich sagte im Geiste immer wieder Bitte ich, bitte! und verklammerte hinter dem Rücken die Finger, ein Mittel, das stärker wirkte als Daumendrücken und das Lonnie und ich auch benutzten, um in Mathe nicht an die Tafel gerufen zu werden.
Es funktionierte nicht. Das, wovor ich Angst gehabt hatte, trat ein. Ich wurde links liegengelassen. Ich hatte etwas Geheimnisvolles an mir, etwas, das sich nicht abstellen ließ wie Mundgeruch oder übersehen ließ wie Pickel, und alle wussten es, und ich wusste es auch; ich hatte es die ganze Zeit über gewusst. Aber ich hatte es nicht mit Sicherheit gewusst, ich hatte gehofft, mich zu irren. Gewissheit stieg in mir auf wie Übelkeit. Ich hastete an
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