Tanz der Sinne
zu Hause bin, wird meine Annie mißtrauisch.« Er lachte grollend, während er an seiner Laterne eine Kerze für Kit anzündete.
»Sie glaubt, daß andere Frauen mich unwiderstehlich finden. Tut meinen morschen Knochen gut.«
»Sie lassen mich wissen, wenn…«
»Jawohl«, sagte er sanft. »Wenn ich irgend etwas erfahre, gebe ich Ihnen sofort Bescheid.«
Kit schloß hinter ihm ab und lehnte sich einen Augenblick gegen die Tür, während das Schweigen der Wohnung sie umfing. Wie immer ließ ihre entsetzliche Angst nach, und sie war imstande zu glauben, daß alles in Ordnung kommen würde.
Sie richtete sich auf, als ein kleiner, warmer Körper laut schnurrend um ihre Waden strich.
»Versuch nicht, mir schönzutun, Viola. Du willst bloß dein Abendessen.«
Kit hob die graugetigerte Katze auf ihre Schulter, nahm den Kerzenhalter und ging in die winzige Küche. Die Wohnung war klein aber gemütlich, mit einem Wohn- und einem Schlafzimmer. Im ersten Stock des Hauses lag eine ähnliche Wohnung, in dem die Schauspielerin Cleo Farnsworth wohnte. Cleo war etwas jünger als Kit, aber die warmherzige Seele bemutterte sowohl Kit als auch Viola.
Nachdem die Katze ihr Futter bekommen hatte, entfachte Kit ein kleines Feuer im Kamin und begann erschöpft, sich auszuziehen. Das ungewöhnlichste an der Wohnung war eine Reihe riesiger Wandschränke. Kit hängte ihre Kleider auf und öffnete den linken Schrank, dessen Regale von Gipsköpfen bevölkert wurden. Bis auf einen trugen sie alle Perücken – in jeder Farbe, Länge und Frisur.
Erleichtert nahm Kit die grellrote Perücke ab und fuhr sich mit den Fingern durch ihr eigenes zerdrücktes, hellbraunes Haar. Ebenso erleichtert war sie, ihre gepolsterten Rundungen abzulegen und im nächsten Schrank zu verstauen und sich endlich die Schminke vom Gesicht zu waschen.
Schließlich schlüpfte sie ins Bett, wo Viola schon auf einem Kissen döste. Während sie darauf wartete, daß der Schlaf sie übermannte, betete Kit, daß ihre Träume ihr die Erleuchtung bringen würden, die sie so dringend brauchte.
Der alte Mann hob die buschigen Brauen, als er seinen Besucher einließ. »Ich hab’ Sie nicht erkannt, Mylord. Sie sehen aus wie ein Laternenanzünder.«
»Gut. Das hatte ich auch vor.« Lucien nahm seine formlose Kappe ab. »Danke, daß Sie mich so spät noch einlassen.«
Der alte Mann schmunzelte, als er seinen Gast in die Bibliothek führte. »Ein Geldverleiher ist an so etwas gewöhnt. Nicht jeder will bei ihm gesehen werden. Was kann ich für Sie tun, Mylord? Ich nehme nicht an, daß Sie meiner Dienste bedürfen.«
»Sie haben recht – ich brauche kein Geld, sondern Informationen.« Er zog eine Liste aus seiner Tasche. »Ich möchte wissen, welche dieser Männer mit Ihnen oder Ihren Kollegen Umgang hatten. Besonders interessiert mich, ob einer von ihnen im letzten Frühjahr Geld brauchte, nachdem der Kaiser abgedankt hatte. Oder früher schon borgte, aber auf einmal mehr Geld benötigt.«
Der alte Mann warf ihm einen listigen Blick zu, behielt seine Vermutungen jedoch für sich. Er studierte die Liste eingehend. »Ich werde mit meinen Kollegen sprechen.« Er ließ das Blatt auf den Schreibtisch sinken. »Eine Kleinigkeit noch.
Ich erwähne sie ungern, aber…«
Als er seinen Satz unbeendet ließ, sagte Lucien ermutigend: »Ja?«
»Ein junger Mann, der mir eine beträchtige Summe schuldet, sagt, in Ost- und Mitteleuropa werden Leute wie ich oft Opfer von Gewalttaten.
Ein Aufruhr, ein Feuer, und in der Asche sind alle offenen Schulden begraben.« Er spreizte die Hände. »Er hat so getan, als mache er einen Witz, aber ich glaube nicht, daß er es witzig gemeint hat.«
Lucien runzelte die Stirn. »Etwas Derartiges ist in England seit Hunderten von Jahren nicht mehr vorgekommen, aber die Menschen sind unberechenbar. Wie heißt dieser junge Mann?«
Als er den Namen hörte, nickte er nachdenklich.
»Sehr gut. Machen Sie sich keine Sorgen – er wird Sie nicht wieder behelligen.«
Beunruhigt fragte der alte Mann: »Was haben Sie vor?
Ich möchte niemanden auf dem Gewissen haben, nicht einmal einen bösartigen, habgierigen jungen Esel.«
»Nichts Drastisches. Außerdem – wenn er tot ist, kann er seine Schulden nicht zurückzahlen. Ich weiß etwas Besseres.«
Erleichtert sagte der Alte: »Haben Sie Zeit für einen Tee, Mylord?«
»Ein andermal. Ich muß noch ein paar Besuche im East End machen. Ich komme in drei Tagen wieder.« Die beiden Männer schüttelten
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