Tanz der Sinne
ließ.
Ein Wächter brachte eine große Vase mit Blumen.
»Draußen stand ein Blumenhändler. Ich dachte, sie würden Ihnen gefallen«, erklärte Lucien, als der Wächter die Vase auf dem Klavier abstellte.
»Vielen Dank.« Der Verleger streichelte die bunten Blütenblätter einer Chrysantheme. »Sie sind wundervoll für diese Jahreszeit.«
»Sie werden bald entlassen, nicht wahr?«
»Im Februar.« Leigh Hunt verzog das Gesicht.
»Ich zähle die Tage. Ich hab’s mir hier so gemütlich wie möglich gemacht, aber es ist und bleibt ein Gefängnis.« Er zeigte auf einen Stuhl.
»Bitte, setzen Sie sich und erzählen Sie, was in der Stadt los ist.«
»Da Sie den Examiner von hier aus herausgeben, wissen Sie wahrscheinlich mehr als ich. Aber vielleicht haben Sie nicht gehört, daß…« Lucien gab ein paar Anekdoten zum besten, die seinen Gastgeber amüsieren würden.
Nach und nach lenkte Lucien das Gespräch auf das Thema, das ihn hierhergeführt hatte.
»Übrigens, ich habe ein Gerücht gehört, daß einer Ihrer Schreiber, L.J. Knight, in Wahrheit eine Frau ist.«
Leigh Hunt lachte herzlich. »Was für ein Unsinn!«
»Ich dachte mir schon, daß es unwahrscheinlich klingt«, stimmte Lucien zu. »Wer ist Knight wirklich? Seinem Idealismus nach zu urteilen ist er jung.«
»Ich habe keine Ahnung. Ich habe ihn nie persönlich kennengelernt, wir verkehren per Post miteinander.«
Interessant. Lucien fragte: »Lebt er auf dem Land?«
»Nein, hier in London.«
»Dann wäre es möglich, daß Knight eine Frau ist, die ein Alias benutzt, um ihr Geschlecht zu verheimlichen.«
Der Verleger schüttelte den Kopf. »Theoretisch schon, aber keine Frau könnte so wirkungsvolle, wohldurchdachte Artikel schreiben.«
Wenn Leigh Hunt jemals eine Frau wie Jane getroffen hätte, wäre er vielleicht weniger sicher gewesen. Natürlich konnte sie gelogen haben, was ihre Identität mit L.J. Knight anging, aber Lucien war geneigt, ihr zu glauben. Ihr Eifer und ihre Kenntnisse waren überzeugend gewesen.
»Glauben Sie, Knight hätte etwas dagegen, wenn ich ihm einen Besuch abstatte? Ich würde ihm gerne die Hand schütteln, ich bin nicht immer seiner Meinung, aber er hat einen klaren Verstand. Es ist eine Freude, seine Artikel zu lesen.«
Leigh Hunt runzelte die Stirn. »Ich glaube nicht, daß er Besucher schätzt. Ich glaube, er ist nicht besonders gesund, daher lebt er sehr zurückgezogen.«
Lucien nickte. Das Leben eines Invaliden war die perfekte Tarnung für eine unkonventionelle Frau, und genau die Art Täuschung, die er von Jane erwartete.
»Ich möchte den Knaben nicht überanstrengen«, sagte er demütig, »aber ich habe ihm ein Angebot zu machen. Der Krieg ist vorbei, und es wird Zeit, daß England in die Zukunft sieht. Ich möchte eine Abhandlung über meine ökonomischen und sozialen Ideen veröffentlichen. Ich bin allerdings kein bemerkenswerter Schriftsteller, daher muß ich jemanden finden, der meine Ansichten wirkungsvoll darstellt. Wenn Sie mir Knights Adresse geben, schicke ich ihm einen Brief und mache ihm ein Angebot. Wenn er nicht interessiert ist, werde ich ihn nicht weiter behelligen.«
Der Verleger zögerte. »Knight hat mir nie erlaubt, ihn zu besuchen. Aber welcher Schreiberling wäre nicht an mehr Arbeit interessiert, ganz besonders für einen so großzügigen Gentleman, wie Sie es sind. Die Adresse ist Frith Street Nr. 20.«
Wieder Soho. Lucien glaubte nicht, daß das Zufall war. Jane hatte eine Adresse in Soho angeben, als er sie bedrängt hatte, und es bestand eine echte Chance, daß sie tatsächlich in der Gegend lebte.
Das reduzierte seine Suche auf ein vernünftiges Maß. Er lenkte das Gespräch auf ein anderes Thema und verabschiedete sich wenig später.
Auf der Fahrt zurück nach London überdachte er, was er herausgefunden hatte. Er hatte bei seiner Arbeit mit jeder Sorte Lügner zu tun, einschließlich derer, für die es ein reiner Sport war und derer, die Wahrheit und Illusion nicht voneinander unterscheiden konnten. Jane war anders, sie erzählte ihre Lügen aus einem bestimmten Grund. Vermutlich konnte er ihr keinen Vorwurf daraus machen, daß sie ihm eine falsche Adresse gegeben hatte, immerhin hatte er sie gegen ihren Willen dazu gedrängt, ihm ihren Wohnort zu verraten. Aber wenn sein Zorn auch nachließ, seine Entschlossenheit, sie aufzuspüren, blieb bestehen.
Es war spät, der Besuch in der Frith Street mußte bis morgen warten. Er fragte sich, was ihn dort erwarten würde, die
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